Profiteure kommen ungeschoren davon

Eine Studie des Grazer Joanneum Research ist gespickt mit Fehlern, absurden Annahmen und noch absurderen Schlussfolgerungen.

Eine unseriöse Studie des Grazer Joanneum Research, im Auftrag des ÖVP-nahen Kummer-Instituts, geisterte tagelang durch die Medien. Im Kern betont das Papier einen sogenannten „Schwelleneffekt“, der besagt, dass Sozialtransfers dazu führen, dass Familien mit höherem Bruttoeinkommen letztlich weniger netto übrig bleibt als Familien mit niedrigerem Bruttoeinkommen. Die Studie ist gespickt mit Rechenfehlern (die steuerliche Wirkung des 13. und 14. Gehalts wird etwa überhaupt nicht berücksichtigt), absurden Annahmen und noch absurderen Schlussfolgerungen. Es ist daher bedenklich, dass Finanzminister Pröll dieses Papier in seiner „Projekt Österreich“-Rede verwendet hat. Seine Conclusio: „Leistungsgerechtigkeit vor Verteilungsgerechtigkeit“. Er schlägt dabei die Einführung eines Transferkontos vor, behauptet ernsthaft, dass „Steuerzahlerfamilien oft ein weit niedrigeres Familieneinkommen haben als jene, die gar keine Steuer zahlen, aber Anspruch auf zahlreiche Beihilfen haben“. Außerdem hält er gleich anschließend Folgendes fest: „Deshalb ist für mich nicht nur wichtig, dass die Zahlen stimmen. Der Umgang damit muss verständlich sein.“

Tendenziöse Beispiele

Können wir nicht gerade vom Finanzminister selbst erwarten, dass er seine Reden auf Zahlen stützt, die richtig sind, und dass er einen klaren, verständlichen Umgang mit diesen Zahlen pflegt? Offensichtlich nicht. Denn bei genauerer Betrachtung dieser „Studie“ fällt auf, dass die angesprochenen Schwellenphänomene praktisch nur von Wohnbeihilfen und Kinderbetreuungsgeld hervorgerufen werden. Während der Schwelleneffekt der Wohnbeihilfen durch tendenziös gewählte Beispiele zu vernachlässigen ist, spielt die Zuverdienstgrenze beim einkommensunabhängigen Kinderbetreuungsgeld eine zentrale Rolle. Ironischerweise wurde diese Form des Kinderbetreuungsgeldes allerdings von der ÖVP selbst unter Schüssel I eingeführt. Die Studie verschleiert diese Tatsachen aber, indem sie zahlreiche Transfers in die Analyse einbezieht, die quantitativ unbedeutend sind, und suggeriert stattdessen, dass der Transferdschungel unglaubliche Ungerechtigkeiten hervorrufe.

Aus Sicht der ÖVP ist dies aber unbedeutend. Sie benötigt das Transferkonto nämlich als ersten Schritt in Richtung Budgetkonsolidierung. Nur deshalb wurde die Studie in Auftrag gegeben und trotz haarsträubender inhaltlicher Mängel bis heute hartnäckig in der Öffentlichkeit breitgetreten. Die größte Wirtschaftskrise seit den 1930er-Jahren hat große Löcher in das staatliche Budget gerissen. Bereits vor der nächsten Nationalratswahl wird eine Konsolidierung eingeleitet werden müssen. Für die ÖVP ist der Kurs offenbar klar: Kürzung der Staats-, genauer gesagt: der Sozialausgaben unter dem Deckmantel einer konstruierten Debatte über Leistungs- und Verteilungsgerechtigkeit.

Mehr Effizienz reicht nicht aus

Auch wenn die Möglichkeiten für Synergien in der österreichischen Verwaltung groß sind: Realistisch betrachtet werden Effizienzsteigerungen nicht ausreichen, um alle durch die Krise entstandenen Löcher zu stopfen. Es verbleiben somit zwei Möglichkeiten: Steuern erhöhen oder staatliche (Sozial-)Leistungen reduzieren. Während Letzteres die Stellung der sozial Schwachen immer verschlechtert, stellt sich bei Ersterem die Frage, wer die Steuererhöhung zu tragen hat. Aber auch da gibt der Finanzminister die Linie klar vor: „Die Kosten für die Finanzkrise und die Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft müssten von allen getragen werden, nicht von einigen wenigen.“ Besonders pikant: Diese Worte sind bei der Verleihung des Stiftungspreises der Kathrein-Bank gefallen. Wenig überraschend nahm Pröll Stiftungen und deren Privilegien von potenziellen Steuererhöhungen aber aus. „Leistungsgerechtigkeit“ à la ÖVP: Steuerprivilegien von Stiftungen, die mitunter riesige Anteile an österreichischen Banken halten, die bekanntlich mit dem Geld aller gerettet wurden und dadurch weiterhin jedes Jahr Dividenden kassieren, sollen nicht angetastet werden.

Unkritischer Journalismus

Wenn der Finanzminister hingegen meint, dass die Krise von „allen“ getragen werden soll, spricht man gemeinhin von der Erhöhung der Mehrwertsteuer. Eine solche Erhöhung wird aber eben nicht von allen im gleichen Ausmaß getragen. Untere Einkommensschichten werden über-, obere hingegen unterproportional – gemessen an ihrem verfügbaren Einkommen – belastet. Es sollen jene zur Kasse gebeten werden, die keine Verantwortung für die Finanzkrise tragen und von den wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen der letzten 20 Jahre (Finanzkapitalismus) kaum profitiert haben, während Zündler und Profiteure ungeschoren davonkommen. Gestützt durch einen zunehmend unkritischen Wirtschaftsjournalismus gelingt es der Volkspartei heutzutage offenbar nicht nur, ihre Klientelpolitik als Sachzwang zu verkaufen, sondern zusätzlich die soziale Realität systematisch zu verfälschen und diese in den Köpfen der Bürger zu verfestigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2010)

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