Was ist eigentlich schön? Besuch bei Rubens und Co.

Die Autorin Nunu Kaller hat ausführlich zum Thema Body Positivity und Selbstoptimierungswahn recherchiert.
Die Autorin Nunu Kaller hat ausführlich zum Thema Body Positivity und Selbstoptimierungswahn recherchiert.(c) Georg Mayer
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Die Wiener Bloggerin Nunu Kaller geht der Frage nach, wieso nicht nur, aber vor allem Frauen der Wunsch nach makelloser Schönheit unglücklich macht und was wir dagegen tun können. Wir drucken hier zwei Auszüge aus ihrem neuen Buch „Fuck Beauty“.

Eigentlich hatte ich keine Lust. Erstens war der Abend zuvor mal wieder recht lang gewesen, zweitens war es binnen weniger Tage so eiskalt geworden, dass ich mich eigentlich unter meiner Kuscheldecke vom Sofa das ganze Wochenende nicht wegbewegen wollte. Aber ich hatte nun mal zugesagt, als Vea unserer fünfköpfigen Mädelsgruppe geschrieben hatte: „Ihr Lieben, wollt ihr am Samstagabend mit mir ins Kunsthistorische Museum zu einem Konzert? Ich kann euch auf die Gästeliste schreiben lassen!“

Ich überwinde mich also, schließlich freue ich mich darauf, meine Freundin Vea wiederzusehen. Sie ist bereits da, als ich komme, gemeinsam lauschen wir einem Cellokonzert mitten in den Ausstellungsräumen. Während des Konzerts öffnet ein Museumswärter die Tür zur Sammlung Alter Meister. Eigentlich will er nur durchlüften, doch mich ziehen die hell erleuchteten Räume magisch an. Ich ziehe los und lasse die Bilder auf mich wirken. Und das Tolle: Ich bin fast ganz allein. Ich fühle mich ganz klein in den prachtvollen historischen Räumlichkeiten mit all der Kunst des Barock und der Renaissance. Ich sehe Bilder von Dürer, von Bruegel, von Rubens. Was mir auffällt: Nicht nur die berühmten Rubens-Schönheiten, sondern alle dargestellten Frauen auf den Meisterwerken haben ordentlich feste Schenkel – von Thigh Gaps weit und breit nichts zu sehen – und Bauchansätze!

Was Thigh Gaps sind? Es gibt Frauen, bei denen berühren sich die Oberschenkel beim Stehen oder Gehen. Das können je nach Körperbau auch recht schlanke Frauen sein. Und es gibt Frauen, die haben zwischen ihren Oberschenkeln bis zum Schritt hinauf einen Spalt, wenn sich die Knie berühren. Dieser Spalt wurde vor einigen Jahren zum ultimativen Schönheitsideal erhoben.

Ein Mann liegt ihr zu Füßen

Ganz bewusst schreite ich noch mal alle Räume ab, sehe mir die Frauen genau an. Ein Bild von Rubens haut mich fast um, es trägt den Titel „Der Einsiedler und die schlafende Angelica“. Man sieht eine auf dem Rücken liegende nackte junge Frau. Sie ist sehr gut gepolstert, die Hände hinter dem Kopf, das Kinn in Falten gelegt. Die Brüste sind klein und erscheinen fest, während Bauch, Hüften und Oberschenkel weich und ausladend wirken. Ihr Gesicht ist kein klassisch schönes, sondern eher das, was man in Wien als „Palatschinkengesicht“ bezeichnen würde: kurze, breite Nase, umrandet von eher grobschlächtigen Zügen.

Neben ihr kniet ein alter Mann, zahnlos, faltig, und himmelt sie an. [. . .] Ich schaue mir die Frau genau an. Nein, gemessen an unseren heutigen Schönheitsidealen ist sie schlicht und einfach nicht schön. Nicht einmal im Liegen ist ihr Bauch flach, selbst ihre Unterschenkel sind rund, ihr Gesicht – wie schon gesagt, na ja. Und trotzdem liegt ihr da im wahrsten Sinne des Wortes ein Mann zu Füßen.


In Zeiten des Hungers waren Kilos anziehend. Auf dem Heimweg sinniere ich noch ein bisschen: Schon klar, das waren Bilder von Rubens. Der war und ist bekannt für seine Darstellungen von rundlichen Frauen. Doch auch auf allen Bildern der anderen Künstler ist keine einzige der Frauen mager. Okay, das hat auch historische Gründe: In Zeiten, in denen Hunger weitverbreitet war, galt es wohl als verdammt anziehend, wenn man einige Kilos mehr auf die Waage bringen konnte – das hieß nämlich, man war reich und musste nicht auf dem Feld arbeiten. Logisch, dass da dick und blass als schön und reich, dünn und braun gebrannt als arm und hässlich galt. Trotzdem schlafe ich glücklich ein: Jahrhundertelang galten meine Oberschenkel als das Schönheitsideal schlechthin, herrlich!

Am nächsten Tag greife ich nach dem Aufwachen nach dem Buch, das ich gerade lese. Denn vor einer Frage stehe ich natürlich immer noch: Was bitte ist eigentlich Schönheit? Was nennen wir schön? Und wieso? [. . .] Was finden wir Menschen aneinander schön? Und warum machen wir uns deshalb so fertig?

Nachdem ich mich nun schon seit Wochen mit dem Thema beschäftige, habe ich mir das Buch „Schön!“ von Rebekka Reinhard gekauft – die deutsche Philosophin liefert darin eine philosophische Gebrauchsanweisung zu „schön sein, schön scheinen und schön leben“. Dabei weist sie zuallererst darauf hin, dass Schönheit objektiv nicht definierbar ist.

Ich habe bereits mehrere Tage in dem Buch gelesen und bin mittendrin, als ich es am Sonntagmorgen aufschlage. Nur wenige Seiten weiter widmet sich Reinhard den Werken von Rubens. Sie beschreibt „Die drei Grazien“ – ein Bild dreier rundlicher Frauen: „Ihre Erotik ist natürlich, direkt und ungezwungen, ohne jede Berechnung – im Unterschied zu der Heidi Klums. Neben ihrer Üppigkeit wirkt die sonst so imposant erscheinende Heidi wie ein verhungertes Waisenkind.“

Was dann folgt, trägt mich durch den Sonntag: „Trotz ihrer Rundungen sind ihre Bewegungen balletteusenhaft leicht. Rubens macht klar: Beleibtheit hat nichts mit Behäbigkeit zu tun. Für ihn ist Korpulenz ein Ausdruck von Lebensfülle, nicht von schlechter Lebensführung. Ein Gedanke, den sich die moderne Frau, die Schlanksein und Schlankbleiben als Teil der Leistungsideologie verinnerlicht hat, hinter die Ohren schreiben kann. [. . .] Wenn eine Frau beim Anblick ihres Körpers an Rubens' Grazien denkt, wird sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht an Modelmaßen orientieren. Wenn sie sich ihre Kenntnisse über Schönheit in Museen statt bei der Lektüre von Klatschzeitungen erworben hat, wird sie mit den Weight Watchers wenig anfangen können. Sie wird bloß stolz sein, dass eine Figur wie die ihre fester Bestandteil der Kunstgeschichte ist.“

Yeah. Mein Körper ist fester Bestandteil der Kunstgeschichte.

Damit kann ich leben.

* * *
„Du hast wunderschöne Haare!“, sage ich. Ich kassiere kurz einen etwas befremdeten Blick, doch dann geht im Gesicht der Frau, die mir in der U-Bahn gegenübersitzt, gleichsam die Sonne auf. „Danke!“ „Sind die gefärbt oder echt?“, frage ich nach. „Wow, du glaubst, die sind gefärbt? Nein, nein, die sind echt!“ Sie freut sich noch mehr. Ich steige aus und erwische gerade noch den Aufzug, der hinauf auf die Straße fährt. Im Lift stehen sieben Personen. Neben mir eine ältere Frau mit einer sehr modernen Brille.

„Tolle Brille!“, sage ich zu ihr. Sie schaut mich überrascht an, bedankt sich und grinst in sich hinein. Kurz vorm Aussteigen sagt sie: „Das ist schön, so überraschend ein nettes Kompliment zu bekommen! Danke!“

Mein Plan geht voll auf: Heute mache ich Komplimente. Und zwar wildfremden Personen. Jedes Mal, wenn ich einer Person begegne, an der ich etwas besonders schön finde, sage ich es ihr – egal, ob es die Augen, die Kleidung oder die Ausstrahlung ist. Der Grund: Wir Frauen sagen uns insgesamt viel zu selten freundliche Dinge, so viele von uns sind viel zu sehr auf ihre Makel fokussiert.

Die Reaktionen sind spannend. Die meisten reagieren ähnlich wie die Frau in der U-Bahn: erst kurz überrascht, dann erfreut. Komplimente über Kleidung fallen nicht nur mir zu Beginn deutlich leichter, sie werden auch einfacher angenommen. [. . .] Doch was auffällt: Vielen Frauen fällt es schwer, Komplimente zu körperlichen Eigenschaften anzunehmen. [. . .] Dennoch: Jedes Lächeln, das ich auslöse, bestärkt mich, weiter gute Laune zu verteilen. Das macht nämlich selbst auch glücklich. Oft wird auch sofort gekontert und ein „Gegenkompliment“ gemacht: „Deine Haare sind aber auch toll!“ oder „Dafür hast du tolle Schuhe an!“ Ich muss dabei grinsen, weil ich es so gut nachempfinden kann: Bekommt man ein Kompliment, hat man erstens bescheiden zu reagieren und zweitens sofort eines zurückzugeben. Man darf anscheinend auf keinen Fall zu selbstbewusst rüberkommen.

Sich-selbst-klein-Machen

Eigentlich frustrierend, dass das derartig in der weiblichen Sozialisation verankert ist: Nicht eine einzige Frau antwortet mit einem „Ja, das finde ich auch!“ auf meine Komplimente. Der Frau mit den roten Haaren in der U-Bahn war anzusehen, dass sie ihre Haare nicht nur liebevoll pflegt, sondern auch, dass sie sehr stolz auf ihre Mähne ist. Aber anscheinend ist es in unserer Gesellschaft nicht okay zu sagen: „Ja, gell? Meine Haare sind super!“ Nein, man muss mit einem „Ach, die Zotteln?“ oder „Echt? Findest du? Ich weiß nicht“ reagieren. Ich will hier nicht die Behauptung aufstellen, dass es genau so sei und nie anders. Blödsinn. Natürlich kann man auch anders reagieren, und viele starke Frauen tun das wahrscheinlich auch. Aber meine persönliche Stichprobe, bestehend aus gut fünfzig Frauen an zwei Tagen im Alter von geschätzt 16 bis etwa 75, spricht eine klare Sprache: die des Sich-selbst-klein-Machens.

Wikipedia hat übrigens eine sehr eindeutige Einstellung zu Komplimenten: Man müsse sie auf alle Fälle zurückgeben oder sogar zurückweisen, je nachdem, wo man zu Hause ist. (Falls jemand mal in China Urlaub machen sollte: mindestens dreimal sagen „Sie übertreiben“, oder „Zu viel des Lobes“, sonst gilt es nicht.) In Europa und den USA gilt: „Am besten gibt man das Kompliment gleich zurück, etwa: ,Sie sind aber auch nicht von schlechten Eltern!‘ oder ,Darin sind doch gerade Sie der größte Profi!‘ u. Ä. Oder man bemüht sich, dem Gesprächspartner bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit ebenfalls ein Kompliment zu machen. Ist das anstrengend! Kein Wunder, dass wir alle keine Komplimente annehmen können. [. . .]

Das Buch

„Fuck Beauty! Warum uns der Wunsch nach makelloser Schönheit unglücklich macht – und was wir dagegen tun können“ erscheint am
11. Jänner bei Kiepenheuer & Witsch.

Nunu Kaller, *1981, arbeitet nach dem Studium der Publizistik, Anglistik und Zeitgeschichte u. a. bei der „Presse“ in der Online-Redaktion, wechselte danach als Sprecherin in die NGO-Welt und betreibt den Blog ichkaufnix.com, nach dem 2013 auch ihr erstes Buch, ebenfalls bei KiWi, benannt wurde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.01.2018)

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