Türkei/EU: Die Grenzen einer Wiederannäherung

Wollen den türkisch-deutschen Dialog verbessern: Die Außenminister Mevlüt ?avuşoğlu (l.) und Sigmar Gabriel in Goslar.
Wollen den türkisch-deutschen Dialog verbessern: Die Außenminister Mevlüt ?avuşoğlu (l.) und Sigmar Gabriel in Goslar.(c) imago/photothek (Florian Gaertner)
  • Drucken

Ankara will die lädierte Beziehung zu Berlin wiederherstellen. Für Deutschland und Frankreich ist der türkische EU-Beitritt offenbar erledigt - und für die Türkei selbst wohl auch.

Istanbul. Ein bestimmtes Wort des Bundesaußenministers dürfte seinem Gast aus Ankara ganz besonders wichtig gewesen sein. „Augenhöhe“ solle das Maß für den neuen Dialog zwischen Deutschland und der Türkei sein, sagte Sigmar Gabriel beim Besuch seines Kollegen Mevlüt Çavuşoğlu in Goslar. Von Europa ernstgenommen und nicht von oben herab behandelt zu werden, ist der türkischen Regierung wichtiger als die meisten Sachthemen.

Gabriel traf also den richtigen Ton. Dennoch zeigte sein Treffen mit Çavuşoğlu und der Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Frankreich auch die Grenzen der türkisch-europäischen Wiederannäherung auf. Das Ziel einer türkischen EU-Mitgliedschaft ist für beide Seiten offenbar erledigt.

Im November hatten sich Gabriel und Çavuşoğlu in Antalya getroffen, der Heimat des türkischen Ministers. Nun revanchierte sich Gabriel mit der Einladung in seine Geburtsstadt – die Gespräche sollen dem Aufbau eines persönlichen Vertrauensverhältnisses dienen. Das ist angesichts der Dauerkrise im deutsch-türkischen Verhältnis seit der Armenier-Resolution des Bundestages vor fast zwei Jahren auch nötig. Die Minister vereinbarten die Wiederbelebung des „strategischen Dialogs“.

Streitpunkte ungelöst

Dass dies zumindest nach außen auf Augenhöhe geschieht, ist für die Türken eine Grundvoraussetzung, ließ Çavuşoğlu durchblicken: Weder Deutschland noch die Türkei seien Staaten, die auf Druck reagierten. Hinter den Kulissen sieht das etwas anders aus. Wirtschaftlicher Druck des wichtigsten Handelspartners Deutschland nach den Festnahmen mehrerer Bundesbürger in der Türkei hatte zur Entscheidung Ankaras beigetragen, die Beziehungen neu zu beleben.

Inhaltliche Streitpunkte bleiben vorerst ungelöst. Über das Schicksal des seit fast einem Jahr in der Türkei inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel wollten die beiden Minister öffentlich nicht viel sagen. Vor dem Treffen in Goslar hatte Gabriel deutsche Rüstungsexporte von einer Haftentlassung Yücels abhängig gemacht – die Türkei weiß, dass Berlin ohne Yücels Freilassung keine konkreten Schritte unternehmen wird. Bei Yücel gibt es weder eine Anklage, noch einen Prozesstermin. Erdoğan persönlich hatte den Journalisten als Agenten bezeichnet.

Der Druck auf Journalisten in der Türkei überschattete auch Erdoğans Besuch beim französischen Präsidenten Emmanuel Macron am Freitag in Paris. Der türkische Staatschef rechtfertigte die Inhaftierung von Reportern mit dem Argument, die Schreiber seien wie „Gärtner“ des Terrorismus, weil sie Gewalttäter ermunterten. Falls nötig, würden noch mehr Menschen in Haft genommen. Zudem reagierte er verärgert auf die Frage eines französischen Journalisten nach mutmaßlichen türkischen Waffenlieferungen an Rebellen in Syrien. „Pass bloß auf“, raunzte Erdoğan Laurent Richard an. Er habe lediglich versucht, eine Frage zu stellen, die türkische Journalisten nicht stellen dürften, schrieb Richard danach auf Twitter.

Ziel: Zollunion

Damit legte Richard den Finger in die Wunde. Die Erosion des Rechtsstaates in der Türkei und die Verfolgung von Regierungsgegnern seit dem gescheiterten Putsch vom Sommer 2016 haben das Land politisch so weit von Europa entfernt, dass der von Gabriel zugesagte „Dialog auf Augenhöhe“ bei wichtigen Themen wie den Menschenrechten kaum noch zu Ergebnissen führen kann.

Macron kam deshalb nach seinem Treffen mit Erdoğan zu dem Schluss, dass Europa ganz neu über sein Verhältnis zur Türkei nachdenken und die 2005 begonnenen Beitrittsgespräche aufgeben sollte. Die europäisch-türkischen Gespräche sollten nicht mehr auf eine Mitgliedschaft zielen, sondern auf eine andere Form der „Partnerschaft“. Angela Merkel, die seit Langem für eine „Privilegierte Partnerschaft“ mit der Türkei wirbt, wird dies sicher unterstützen. Erdoğan vermittelte zudem nicht den Eindruck, dass er viel dagegen hätte. Zwar strebt seine Regierung offiziell weiter den EU-Beitritt an. Doch die Türkei sei des langen Wartens müde, sagte er in Paris.

Dementsprechend betonte auch Çavuşoğlu in Goslar, die Türkei und Europa sollten sich nicht auf die schwierigen politischen Fragen konzentrieren, sondern auf Bereiche, die beiden Seiten Nutzen bringen könnten. Als Beispiel nannte er die Zollunion zwischen der EU und der Türkei. Nur: Merkel blockiert diesen Ausbau – unter anderem wegen des Falles Yücel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Es ist ein diplomatischer Drahtseilakt Athens im Fall jener acht türkischen Soldaten, die sich im Juli 2016 nach dem Putschversuch gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan nach Griechenland abgesetzt hatten.
Außenpolitik

Asyl für türkischen Soldaten: Athen ficht Urteil an

Die griechische Justiz gewährte einem türkischen Militär Asyl. Die griechische Opposition spricht von einem "Kniefall" der Regierung.
Recep Tayyip Erdoğan.
Europa

EU: Warum Erdogan seine "alten Freunde" neu entdeckt hat

Der türkische Präsident Erdogan und sein Außenminister Cavusoglu sind am Freitag auf Charmeoffensive in Frankreich und Deutschland unterwegs.
Europa

Wie sich reiche Türken EU-Aufenthaltsgenehmigungen erkaufen

Seit dem Putschversuch gehen immer mehr Türken auf Nummer sicher. Sie erwerben sogenannte "Golden Visa" von EU-Staaten - und können sich damit im Notfall in die EU absetzen.
Europa

Gabriel: Brexit kann Vorbild für EU-Türkei-Beziehungen sein

Der deutsche Außenminister plädiert für eine enge Zollunion mit Ankara. Einen EU-Beitritt der Türkei schließt er aufgrund der Menschenrechtslage aus. Die türkische Regierung sorgt mit neuen Notstandsdekreten für Empörung.
Außenpolitik

Türkei lässt weiteren Deutschen frei

Der 55-Jährige war auf einer Pilgerreise festgenommen worden. Deutschlands Außenminister Gabriel sieht darin ein "positives" Signal aus der Türkei.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.