Kommt Hartz IV oder nicht? Es ist Zeit für den Offenbarungseid

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In Deutschland gilt Hartz IV als einer der Grundpfeiler des aktuellen wirtschaftlichen Erfolgs. Will die Regierung das kopieren, soll sie es offen sagen.

Kommt in Österreich beim Arbeitslosengeld eine Regelung äquivalent zum deutschen Hartz IV oder nicht? Auch wenn diese Frage bei der ersten Klausur der türkis-blauen Regierung gar nicht auf der offiziellen Agenda gestanden ist, war sie in der öffentlichen Wahrnehmung eines der bestimmenden Themen. Grund dafür waren die unterschiedlichen Signale, die vor allem von ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz und FPÖ-Sozialministerin Beate Hartinger-Klein ausgesendet wurden.

Begonnen hat alles mit ein paar sehr verklausulierten Sätzen im Regierungsprogramm. Dort heißt es wörtlich: „Arbeitslosengeld neu: Degressive Gestaltung der Leistungshöhe mit klarem zeitlichen Verlauf und Integration der Notstandshilfe.“ Die meisten Experten sehen darin die Einführung von Hartz IV. Statt der Notstandshilfe würden Langzeitarbeitslose also künftig Mindestsicherung erhalten. Der entscheidende Unterschied: Bei Letzterer wird vom Staat auf eventuell vorhandenes Vermögen zugegriffen.

Hartinger-Klein erklärte in der Vorwoche dann jedoch, dass es mit ihr kein Hartz IV geben werde. Das Arbeitslosengeld solle künftig zeitlich unbeschränkt bezahlt werden. In der Folge wurde sie allerdings von Kurz zurückgepfiffen. „Die Notstandshilfe wird es in der derzeitigen Form nicht mehr geben. Und die Mindestsicherung steht all jenen offen, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben oder deren Anspruch ausgelaufen ist“, so der Kanzler am Freitag.


Der Kurs wurde also sehr wohl in Richtung HartzIV eingeschlagen, auch wenn die Regierung diesen Begriff derzeit scheut wie der Teufel das Weihwasser. Das ist auch gar nicht verwunderlich, gilt Hartz IV bei vielen ja als Synonym für von reiner Bosheit getriebene soziale Kälte, wie die Reaktionen in sozialen Medien und Internetforen bereits zeigen. Keine Konnotationen, die man bei einer sehr auf ihr Politmarketing bedachten Regierung haben möchte.

Doch diese Sichtweise ist stark verkürzt. Denn ökonomisch gelten die Hartz-Reformen schlichtweg als Erfolg und als einer der Grundpfeiler für die derzeitige wirtschaftliche Stärke Deutschlands. So bescheinigt eine Reihe von Studien, dass die Reform deutlich dazu beigetragen hat, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland von einst elf auf rund fünf Prozent gesunken ist. So sind laut IWF etwa „die Anreize für Arbeitslose wesentlich gestiegen, wieder eine Stelle anzunehmen“. Nicht vergessen werden sollte in diesem Zusammenhang auch, dass Hartz IV in Deutschland unter einer rot-grünen Regierung eingeführt und von SPD- und Gewerkschaftsmitglied Peter Hartz entwickelt worden ist.

Allerdings verhehlen diese Studien auch nicht, dass „die Kosten der Arbeitslosigkeit für die einzelnen Betroffenen deutlich angestiegen sind“. Nicht nur durch geringere staatliche Unterstützung, sondern auch durch niedrigere Löhne nach Wiederaufnahme eines Arbeitsplatzes. Gerade Letzteres sei jedoch unumgänglich, um strukturelle Arbeitslosigkeit zu durchbrechen, weil es zuvor oft uninteressant gewesen sei, schlechter bezahlte Tätigkeiten in anderen Branchen aufzunehmen, so die Ökonomen.


Vertreter der Regierung erklärten jüngst mehrmals, dass es mehr Fairness beim Arbeitslosengeld geben sollte. Jemand, der sehr lang gearbeitet hat, soll also auch länger Anspruch haben als jemand, der nur kurz beschäftigt war. Ein Gedanke, dem wohl viele zustimmen werden. Gleichzeitig ist es aber auch genau diese Personengruppe, die am ehesten in die Situation kommen würde, selbst aufgebautes Vermögen durch eine längere Arbeitslosigkeit kurz vor der Pension wieder komplett zu verlieren. Ein Vorgang, den wohl nur die wenigsten als fair bezeichnen würden.

Es ist für eine Regierung, die mit einem Reformversprechen angetreten ist, legitim, auch bei heiklen sozialpolitischen Themen Reformen zu planen. Und es ist auch nicht verwerflich, erfolgreiche Modelle anderer europäischer Länder zu übernehmen. Die Wähler haben es sich allerdings verdient, dass sie hierbei offen und transparent über die konkreten Pläne informiert werden.

E-Mails an:jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2018)

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