So schön kann ein Film über gar nichts sein

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„Aus einem Jahr der Nichtereignisse“ begleitet einen 90-jährigen Bauern.

Es ist ein großer Traum der Kunst, von nichts zu handeln. So äußerte Gustave Flaubert, dass er gern einen Roman über rein gar nichts schreiben würde. Auch Luchino Visconti fantasierte einen Film, der einen Tag aus dem Leben eines durch und durch gewöhnlichen Mannes erzähle. Der wunderschöne Dokumentarfilm „Aus einem Jahr der Nichtereignisse“ von Ann Carolin Renninger und René Frölke kommt diesem Traum nahe. Wobei das „Nichts“ im Fall des 90-jährigen Willi, den der Film über ein Jahr bei seinem Leben auf einem Bauernhof in Norddeutschland begleitet, mit einer großen Dosis pastoraler Romantik aufgeladen ist.

Willi lebt jenseits der modernen Zivilisation umgeben von einem organischen Chaos mit Tieren, Unkraut und überfüllten Tiefkühltruhen. Er ist ein kauziger Mann, die Filmemacher begegnen ihm mit liebevoller Rücksicht. Mit seinem Gehwagen, den eine seiner Katzen, die er alle Muschi nennt, als Mitfahrgelegenheit nutzt, müht er sich Schritt für Schritt durch seine täglichen Aufgaben.

Die Langsamkeit ist bei Willi eine Sache des Alters, aber auch der Nonchalance. Seine schulterzuckende Einstellung zum Leben steckt an. In der Alltäglichkeit seines Daseins sind es kleine Zwischenfälle, die zum großen Ereignis werden. Eine Katze erkrankt oder ein Geburtstag wird gefeiert. Willi erzählt auch viel aus seiner Vergangenheit. Es ist erstaunlich, wie fremdartig und faszinierend diese Welt aus urbaner Perspektive wirkt. Bei Willi braucht es keine Unterscheidung zwischen Leben und Freizeit. Ein wenig fühlt sich das so an, als würde man einmal ganz tief durchatmen.

Eine Idylle auf 16-mm-Film

Ländliches Leben ist längst zum Sehnsuchtsort geworden. Ab und zu kann sich der Film einer huldigenden Konstruktion von Idylle nicht erwehren. Gedreht wurde – auch das eine romantische Geste – auf Acht- und 16-mm-Material. Die körnigen Bilder vermitteln einen sinnlichen Eindruck der Natur und der Körperlichkeit von Willi. Ein Jammer, dass der Film digital zur Aufführung gelangt. Ahnen kann man das Analoge dennoch. Immer wieder wird das Bild schwarz, und man lauscht nur der Tonspur. „Aus einem Jahr der Nichtereignisse“ behauptet so seine eigene Zufälligkeit. Man dreht eben, was man kann, so wie Willi arbeitet, wann er kann. Keine Perfektion, aber viel Gefühl. „Du verbrauchst so viel Film, und was hast du in Wirklichkeit aufgenommen? Gar nichts“, sagt Willi einmal zu Renninger. Er weiß selbst besser, dass dieses „Gar nichts“ so viel sein kann. Ab Freitag im Kino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2018)

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