Die Grünen stellen sich komplett neu auf – und servieren mit Noch-Parteichef Cem Özdemir ihren beliebtesten Politiker ab. Alle Hoffnungen ruhen nun auf Robert Habeck.
Berlin. Im grünen Bundesvorstand gibt es am Montag Blumen für Cem Özdemir. Und sicher auch ein paar nette Worte. Aber einen Spitzenjob haben sie künftig nicht mehr für ihn. Hörbar verärgert hatte Özdemir am Wochenende den Kampf um einen Platz an der Doppelspitze der Bundestagsfraktion aufgegeben. Das ist bemerkenswert. Die Deutschen mögen Özdemir. Im Politikerranking liegt er auf Platz zwei (hinter Sigmar Gabriel, SPD). Gegen den grünen Proporz nützen jedoch die besten Umfragewerte nichts. Die Rechnung geht so: Mit Katrin-Göring Eckardt ist eine Frau und Reala für die Fraktionsspitze gesetzt, weshalb für den Posten an ihrer Seite ein Kandidat männlich und vom „Fundi“-Flügel gesucht wird und in Anton Hofreiter wohl gefunden ist. Özdemir geht leer aus.
Parteitag wird zum Showdown
Denn eine Wiederkandidatur als Parteichef hat er schon zuvor ausgeschlossen. Da auch Kovorsitzende Simone Peter vom linken Flügel am Montag frühmorgens ihren Verzicht verkündet hat, wählen die Delegierten beim Parteitag Ende Jänner eine neue Doppelspitze. Längst geht die Angst um, dass dann wieder alte Flügelkämpfe ausbrechen, die Özdemir während der Sondierungen einer Regierung mit Union und FDP („Jamaika“) noch unterbunden hat. Die Grünen machten trotz des Scheiterns der Gespräche gute Figur. Sie gaben sich ungewohnt geschlossen, kompromissbereit. Die Umfragewerte zogen an. Derzeit weisen die Meinungsforscher die Partei bei elf, zwölf Prozent aus – und damit über dem Wahlergebnis von 8,9 %.
Doch nun herrscht wieder Unruhe. Özdemir selbst monierte, die grüne Bundestagsfraktion richte den Blick „eher nach innen als nach außen“. Die „doppelte Quote“ also „Mann/Frau“ und „Real/Fundi“ sei „vielleicht manchmal ein bisschen zu viel des Guten“. Andererseits: Eine Realo-Doppelspitze an der Fraktion wäre eine Kampfansage an die Fundis gewesen – Zerreißprobe nicht ausgeschlossen. Wozu so etwas führen kann, haben die deutschen Grünen bei ihren einstigen Vorbildern im kleinen Österreich genau beobachtet. Dass die Flügelkämpfe die Partei noch länger beschäftigen dürften, deutete sich trotz aller betonten Harmonie schon beim Parteitag im Spätherbst an. Özdemir nannte die Grünen die eigentliche liberale Partei. Es war eine Einladung an FDP-Wähler, die Lindner mit dem Abbruch der Jamaika-Verhandlungen verprellt haben könnte. Dann kam Hofreiter und nannte die Grünen die „letzte handlungsfähige linke progressive Partei“ der Republik.
Robert Habeck, selbst Realo, will diese „Flügellogik“ überwinden. Tatsächlich projizieren auch „Fundis“ ihre Hoffnungen auf den Schriftsteller mit dem lässigen Auftreten, der stets verbindlich im Ton auch Brücken zur Konkurrenz bauen kann. Das belegt die „Jamaika“-Koalition in seiner Heimat im hohen Norden, in Schleswig-Holstein. Der 48-Jährige ist Landesumweltminister – und würde das auch gern übergangsmäßig bleiben. Parteichef kann er daher nur werden, wenn die Grünen ihre Statuten ändern, die derzeit eine solche Doppelfunktion untersagen.
Blasse Peter macht Platz frei
Hürde zwei: Neben Habeck kandidiert die Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock für die Doppelspitze – ebenfalls vom Realo-Flügel. Ein Tabubruch, der die Parteilinken irritiert. Gegen die eher blasse Noch-Parteichefin Peter, eine „Fundi“, die bisher stets im Schatten Özdemirs stand, hätte Baerbock, eine versierte Klimapolitikerin aus Brandenburg, aber durchaus Chancen gehabt. Doch nun macht Peter den Platze für Anja Piel frei. Die für das Spitzenamt kandidierende Fraktionschefin in Niedersachsen soll dafür sorgen, dass die „Fundis“ doch noch an der Spitze vertreten sind. Chancen: ungewiss.
Und Özdemir? Die Blumen bekam er gestern nachträglich zum 52. Geburtstag – noch kein Rentenalter. Es wird schon länger spekuliert, dass der „anatolische Schwabe“, wie sich Özdemir nennt, eines Tages seinem politischen Ziehvater, Winfried Kretschmann, als Ministerpräsident Baden-Württembergs folgen könnte. Vorerst gibt es für ihn aber nur den Platz in der zweiten oder dritten Reihe der kleinsten Oppositionsfraktion im Bundestag – falls die Große-Koalition-Gespräche nicht doch noch scheitern.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2018)