Erwin Javor: „Ein Koffer ist immer gepackt“

Erwin Javor im Hotel Imperial, in das er gern auf einen Kaffee geht.
Erwin Javor im Hotel Imperial, in das er gern auf einen Kaffee geht.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Erwin Javor, Unternehmer und einstiger Nu-Herausgeber, erklärt, warum er in seinem Buchdebüt von Witz und Welt der Wiener Ostjuden erzählt.

Vor der Präsentation, sagt Erwin Javor, habe er eine „Höllenangst“ gehabt. Inzwischen weiß man: Alles ist gut gegangen, sein Buch-Debüt geht nach kurzer Zeit schon in die zweite Auflage, und Javor, frisch aus Tel Aviv zurück gekehrt, kann der heutigen Lesung entspannt entgegen sehen. Zumal er nicht einmal selber lesen muss: Diese Aufgabe übernimmt mit Anita Ammersfeld, der langjährigen Leiterin des Stadttheaters Walfischgasse, seine Frau.

„Ich bin ein Zebra“, heißt der Erstling des Stahlunternehmers und Mitbegründers der jüdischen Zeitschrift Nu: Wenn man ein Zebra nach seiner Identität frage, werde es mit Zebra antworten: Weil alle in der Familie Zebras sind. Javors Familie ist jüdisch, und von der untergegangenen Nachkriegswelt der Ostjuden wollte er erzählen. „Da bin ich Zeitzeuge, das habe ich als Kind miterlebt. Und darüber ist fast nie geschrieben worden.“

So erzählt er die Geschichte jener Menschen nach, die den Holocaust irgendwie überlebt hatten, um sich danach ohne Familien, Hab oder Gut allein im Schtetl wiederzufinden. Viele machten sich auf, in Richtung USA, Kanada, Südamerika; hunderttausend von ihnen zogen dabei durch Österreich, rund 10.000 blieben hängen – auch Javors Eltern.
„Was mich geprägt hat, war der Zugang der Leute zu ihrem neuen Leben“, sagt Javor. „Es war eine positive Stimmung, man wollte alles nachholen, hat mit einer großen Kraftanstrengung gearbeitet und sich auch problemlos integriert – in einer Zeit, in der noch Nazis wichtige Posten hatten und es keine Willkommenskultur gab.“

Leben zwischen Post und Pax

Zwischen Hotel Post, Café Weihburg und Café Pax spielte sich damals das jüdische Leben ab. Insbesondere das Pax am Bauernmarkt diente als „Mischung aus Kaffeehaus, Restaurant, Bethaus, Schwarzmarkt und Gemeindezentrum“, nebenbei auch als Spielhölle und Heiratsmarkt. Aber auch zu Vorstellungen von Bronner oder Kreisler nahm sein Vater ihn mit, erzählt Javor – Letzteres hauptsächlich zwecks sprachlicher Erläuterung der Pointen. Apropos: „Jede gute Pointe hat, wie eine Komödie, eine Tragödie im Hintergrund“, sagt Javor, und auch mit ihrer Hilfe hat er versucht, das jüdische Leben zu erklären, von Geburt, Beschneidung über Bar Mitzwa und Hochzeit bis zum Tod. Obwohl Atheist, hält er selbst manche Feiertage und Regeln bis heute ein, „nicht sehr konsequent, aber doch, weil ich diese Kette nicht zerreißen will“.

Überhaupt sei er „ein typisches Produkt dieser Nachkriegsgeneration. Ich bin in Wien aufgewachsen, wurde hier sozialisiert – und trotzdem ist ein Koffer immer gepackt.“ Echte Verwurzelung werde bis heute nicht zugelassen – und setzte sich in der nächsten Generation fort. Zwei seiner drei Kinder leben nicht mehr in Österreich, bei seinen Freunden sei das ähnlich.

Dabei sei er wahnsinnig gern in Wien, sagt er, „in diesem Kaffeehaus“, dem Café Imperial, wo ihn der Ober kennt, in der Oper oder im Theater, oder bei seinen – großteils nichtjüdischen – Freunden. „Und trotzdem ist etwas zwischen uns.“ Was es ist? „Ich brauche viel länger, um mich wirklich mit jemandem zu befreunden, bis ich jemandem wirklich vertraue“, versucht Javor zu erklären. „Wie denkt der andere über Juden? Wie nimmt er mich, meine Schicksalsgemeinschaft, Israel wahr?“ Fragen wie diese müsse er für sich beantworten können, „und dafür brauch ich ziemlich lang“, auch wenn mitunter ein alkoholgeschwängerter Abend die Dinge beschleunigt, oder eine Krise wie die Waldheim-Affäre oder der Gaza-Krieg.

In Summe träfe jedenfalls Übersensibilität seinerseits auf eine „Unverhältnismäßigkeit in der Betrachtung Juden und Israel gegenüber“. Befangenheit da wie dort, auch unter jenen, die mit den Vorurteilen ihrer Großeltern hadern. Dazu noch jener „scheinbare Philosemitismus, bei dem man uns erzählt, wie klug und reich wir alle seien, was natürlich auch völlig unwirklich ist“.

In Wahrheit gebe es übrigens noch eine andere Erklärung für den Buchtitel. „Wenn ich ein Zebra anschaue, weiß ich nicht, ob ich ein weißes Tier mit schwarzen Streifen sehe, oder ein schwarzes mit weißen“, so Javor. „Das ist mein Vergleich für mich und die Juden. Ich hab ziemlich lang gebraucht, um zu ergründen, wer ich bin.“

Zur Person

Erwin Javor wurde 1947 in Budapest geboren. Er studierte Soziologie und Jus und übernahm als 22-Jähriger ein restituiertes Unternehmen, das er zum Stahlkonzern ausbaute. Von 2000 bis 2013 Herausgeber und Kolumnist der jüdischen Zeitschrift Nu. 2011 gründete er die Nahost-Medienbeobachtungsseite Mena Watch. 2014 gab er die Brauer Haggadah heraus. Lesung aus „Ich bin ein Zebra“ (Amalthea, 25 Euro) heute um 19 Uhr, Thalia Landstraße.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2018)

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