Schon im Wahlprogramm der ÖVP und jetzt auch im Programm der türkis-blauen Regierung finden sich Behauptungen, die einfach nicht stimmen. Man fragt sich, ob die Volkspartei die Steuerpolitik von Laien konzipieren lässt.
Man fragt sich, wer berät diese Bundesregierung, welche Qualifikation haben ihre Berater? Ausgerechnet im Kapitel Steuern, gewiss nicht das unwichtigste Kapitel des Regierungsprogramms, wird etwa behauptet, alle unsere Nachbarländer, mit Ausnahme Italiens, hätten bei der Körperschaftsteuer „niedrigere Steuersätze als Österreich“. Dieselbe Behauptung findet sich bereits im Wahlprogramm der ÖVP „Der neue Weg“ und war schon damals der Beweis, dass die Volkspartei die Steuerpolitik in die Hände von Laien gelegt hat.
Ausgerechnet Deutschland, der wichtigste Handelspartner Österreichs, mit dem auch der Steuerwettbewerb eine besondere Rolle spielt, hat – entgegen der ÖVP-Behauptung – nicht eine niedrigere Unternehmensbesteuerung, sondern ganz im Gegenteil eine erheblich höhere. Denn zur Körperschaftsteuer von 15 Prozent kommt dort noch eine Gewerbesteuer hinzu, die für Kapitalgesellschaften eine Gesamtsteuerbesteuerung von rund 30 Prozent bewirkt, während in Österreich der Steuersatz nur 25 Prozent beträgt.
Unwissenheit, Inkompetenz
Es mag verschiedene Gründe geben, Steuern zu senken, aber die Behauptung, wir hätten den höchsten Steuersatz unter den Nachbarländern, zeigt von Unwissenheit und fachlicher Inkompetenz. Und darauf gründet die ÖVP ihre Steuerpolitik? Ausgerechnet die Wirtschaftspartei?
Wegen einer angeblich höheren Körperschaftsteuer als etwa auch in Deutschland soll also die Besteuerung des nicht entnommenen Gewinns stärker begünstigt werden. Umso schwerer wird es dann aber sein – als nächster Programmpunkt der Regierung –, eine rechtsformneutrale Besteuerung der Unternehmungen zu erreichen.
Denn schon heute ist die Kapitalgesellschaft mit einem Steuersatz von bloß 25 gegenüber bis zu 50 Prozent und mehr bei Einzelunternehmen mit Abstand die steuerlich günstigste Unternehmensform. Einzelunternehmen können davon nur träumen. Mit einer weiteren Reduzierung der Körperschaftsteuer wird aber die Schere nur noch weiter aufgehen als bisher, eine rechtsformneutrale Besteuerung wird damit in Zukunft noch schwieriger.
Laut ÖVP-Wahlprogramm sollte ja die Besteuerung der nicht entnommenen Gewinne gleich auf null gesetzt werden, und das auch für Personengesellschaften, ohne zu wissen, dass bei Personengesellschaften die Regeln für Einzelunternehmer gelten. Extrawürste für Personengesellschaften sind daher bereits steuertechnisch und genauso verfassungsrechtlich nicht möglich. Ist fachliche Kompetenz tatsächlich nicht mehr gefragt?
Verzicht auf Expertise
Daher hat man ja auch von Anfang an darauf verzichtet, den damals noch amtierenden Finanzminister in das Wahlprogramm oder zumindest jetzt in die Beratung für das Regierungsprogramm einzubeziehen. Immerhin war es der Minister der eigenen Partei. Womit von Anfang an klar war, dass ebendieser Finanzminister nicht mehr das Vertrauen der Partei genießt und damit schon damals auf der Abschussliste seiner eigenen Partei stand. Beratungsresistenz ist jedoch kein gutes Zeichen für die Zukunft.
Das gilt auch für den Plan, die Unternehmensbilanz mit der Steuerbilanz unter dem Schlagwort „Einheitsbilanz“ stärker zusammenzuführen. Das mag für den einen oder anderen Bilanzansatz möglich sein, dass aber die Unternehmensbilanz vom Gläubigerschutz geprägt ist und daher nie mit der Steuerbilanz vereinheitlicht werden kann, zeigt sich am deutlichsten an den Rückstellungen. Gerade die Rückstellungen sind aus gutem Grund in den letzten Jahrzehnten – nicht nur in Österreich – gegenüber der Unternehmensbilanz in der Steuerbilanz zunehmend eingeschränkt worden. Wenn es dennoch auch in Fachkreisen manche gibt, die sich eine Einheitsbilanz wünschen, weil sie sich daraus niedrigere Unternehmenssteuern erwarten, wird das ein Wunsch ans Christkind bleiben.
Gefährliche Drohung
In Anbetracht solcher Erkenntnisse klingt die Ankündigung, die Einkommensteuer „von Grund auf“ neu zu konzipieren und „strukturell“ erneuern zu wollen, als gefährliche Drohung. Beispiel gefällig? Man will die Sonderausgaben mit der außergewöhnlichen Belastung zusammenführen. Eine Superidee: Denn bei der außergewöhnlichen Belastung gibt es in der Regel einen Selbstbehalt, damit man nicht jedes Aspirin steuerlich geltend machen kann.
Auch hier haben sich offenkundig wieder Laien durchgesetzt, die nicht wissen, dass Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastung sich gerade „strukturell“ unterscheiden. Selbst wenn man sie daher unter einem gemeinsamen Titel („abzugsfähige Privatausgaben“) zusammenführt, wird man sie inhaltlich wieder trennen müssen. Sinnlos zerstört wird dabei aber ein gewachsenes System.
Man soll allerdings nicht alles an den Steuerplänen der Regierung schlechtreden. Positiv ist, wenn in die steuerliche Abschreibung von Anlagegütern Bewegung kommt. Man muss dabei aber nicht unbedingt an jede mögliche Abschreibungsvariante denken.
Jahrzehntelang ist Österreich mit einer vorzeitigen Abschreibung als Investitionsanreiz erfolgreich gewesen, heute wäre sie ein wichtiger Ausgleich für den höheren Steuersatz in der Einkommensteuer, weil beim Einzelunternehmer mit höheren Steuersätzen gegenüber der Kapitalgesellschaft auch der Steuerspareffekt und damit die investitionsfördernde Hebelwirkung wesentlich höher ausfällt.
Oft versprochen, nie gehalten
Bei der „Vereinfachung und Entrümpelung der Lohnverrechnungsvorschriften“ kann man der Bundesregierung nur alles Gute wünschen. Versprochen wurde das schon oft, gehalten bisher aber nie. Wir erinnern uns noch lebhaft an die vollmundigen Ankündigungen der Frau Minister Fekter.
Zu Recht wird die Beseitigung der kalten Progression auf die lange Bank geschoben. Erstens funktioniert sie – entgegen manchen Behauptungen – in fast keinem Land. Vor allem aber ergibt sie keinen Sinn: Niemand hindert die Regierung, den Steuertarif auch jährlich an die Geldentwertung anzupassen, wenn sie will.
Warum die Regierung sich dabei aber selbst und – noch unverständlicher – auch künftige Regierungen binden soll, ist nicht nachvollziehbar. Oder will man sich bloß mit einem Lorbeerkranz schmücken, für den spätere Regierungen dann einstehen müssen? Aus gutem Grund hat man derartigen Plänen auch in Deutschland eine Absage erteilt.
Ambitioniert ist die geplante Reorganisation der Finanzverwaltung („Finanzverwaltung neu“). Will man hier allerdings Personal einsparen, wie ebenfalls angekündigt, spart man am falschen Platz: Den zunehmenden organisierten Steuerbetrug mit weniger Personal bekämpfen zu wollen zeigt wenig Einsicht in das Problem oder ist ein bloßes Lippenbekenntnis.
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DER AUTOR
Em. Univ.-Prof. Werner Doralt (*1942 in Wien) studierte
Rechtswissenschaften in Wien.
1973: Steuerberaterprüfung, 1976: Habilitation im Fach Finanzrecht. 1980–1998: Professor für Finanzrecht an der Uni Innsbruck, 1998–2010: Vorstand des Instituts für Finanzrecht an der Uni Wien. Begründer und Herausgeber der Reihe „Kodex des österreichischen Rechts“. [ M. Bruckberger ]
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2018)