„Wonder Wheel“: Ein Woody Allen, so virtuos wie früher

Kate Winslet spielt – sehr überzeugend – die Kellnerin Ginny, die in ein patchworkfamiliäres Schlamassel gerät.
Kate Winslet spielt – sehr überzeugend – die Kellnerin Ginny, die in ein patchworkfamiliäres Schlamassel gerät.(c) Warner Bros.
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Die letzten Filme des Regisseurs waren von romantischer Fließbandware kaum zu unterscheiden, jetzt findet er zu alter Größe zurück: „Wonder Wheel“ ist spannend, sinnlich – und visuell so betörend wie keiner seiner Filme seit „Manhattan“.

Nach eigener Aussage kam Woody Allen nie über die enttäuschende Erfahrung hinweg, dass sich die Realität für ihn als so viel langweiliger, schrecklicher und komplizierter erwiesen hatte, als ihm in den Hollywood-Filmen der Vierziger- und Fünfzigerjahre vorgegaukelt worden war. Deswegen auch sein manischer Zwang, den Krimis, Musicals, Melodramen und Lustspielen aus der klassischen Studio-Ära stilistisch nachzueifern – selbst wenn er seine Handlungen formal in der Gegenwart ansiedelte. „Meine Filme speisen sich aus einer eher auf dem Kino als auf der Wirklichkeit gegründeten Beziehung zur Welt“, verriet er einmal dem französischen Filmkritiker Jean-Michel Frodon.

In den vergangenen zehn Jahren hat Woody Allen diese Beziehung allerdings eher strapaziert als genutzt. Seine Filme sind ästhetisch immer glatter und inhaltlich banaler geworden. Von den romantischen Komödien, wie sie am Fließband der Kulturindustrie angefertigt werden, unterscheiden sie sich kaum mehr. Hübsche Menschen stolzieren im teuren Designergewand in europäischen Metropolen herum und faseln etwas von Weltschmerz. An die Stelle einer ambivalenten ist zudem eine eskapistische Nostalgie getreten. Seine Figuren gehen nicht einmal mehr halb daran zugrunde, die raue Wirklichkeit mit der verklärten aus dem Kino verwechselt zu haben.

Frauen kochen, Männer schrauben

Mit seiner aktuellen Tragödie, „Wonder Wheel“, die in den Fünfzigerjahren spielt, findet Allen nun allerdings wieder zu seiner alten Form zurück. Es geht um ein Lieblingsthema des Regisseurs: den Verlust romantischer Idealvorstellungen und darum, wie man sich in emotionalen und moralischen Sackgassen verirrt, sobald man sie wiederherzustellen versucht. Der Bezug zur Vergangenheit ist trotz des Zeitkolorits aber diesmal ungewöhnlich kritisch geraten. Wie sonst nur selten in Allens Filmen sieht man die Figuren vor allem bei der Arbeit und erfährt gleichzeitig, welchen Lebenstraum sie anstreben oder vor langer Zeit aufgegeben haben. Außerdem sind ihre Beziehungen untereinander stark von ökonomischen Abhängigkeiten und den strengen Geschlechternormen der Fünfzigerjahre geprägt. Die Frau muss kochen. Der Mann schraubt an Maschinen herum.

Der kalte Wind der Verzweiflung weht durch die kunterbunte Kulisse, die ausgerechnet der weltberühmte Vergnügungspark auf Coney Island abgibt: Ein wunderbarer Kontrast. Zugleich wirkt nichts dramatisch erzwungen, sondern sorgfältig erarbeitet. Die Spannung kommt gänzlich aus den zurückliegenden Erfahrungen und der psychologischen Verfasstheit der Charaktere. Die Dialoge sind messerscharf geschrieben, das Spiel der Akteure ist perfekt aufeinander abgestimmt und meistens in durchgehenden Einstellungen festgehalten – vor allem Kate Winslet überzeugt auf ganzer Linie. Und dann ist da noch die aufmerksame Kamera von Vittorio Storaro, die sich ebenfalls in die Choreografie einklinkt. Die sich mitbewegt und auf das Handlungsgeschehen aktiv reagiert. Wodurch die größtenteils bühnenhaft arrangierten Szenen eine genuin filmische Dynamik erhalten. Überhaupt war ein Film von Woody Allen seit „Manhattan“ nicht mehr so virtuos und betörend fotografiert – vor allem die farbige Ausleuchtung der Innenräume hat eine beeindruckende sinnliche Qualität. Emotional wird der Film dadurch noch intensiver – ein Konzept, das aufgeht, weil es in der Patchworkfamilie, die im Zentrum der erzählten Geschichte steht, nicht weniger heftig zugeht.

Dauerbeleuchtung dank Riesenrads

Die in einem Meeresfrüchteimbiss tätige Kellnerin Ginny (Kate Winslet) trauert obsessiv ihrer kurzen Karriere als Schauspielerin nach. Aus ihrer ersten Ehe, die geschieden wurde, weil sie sich zu einer Affäre hat hinreißen lassen, ist ein Sohn hervorgegangen, der inzwischen im Schulalter ist und auf die Vernachlässigung durch seine Mutter mit Pyromanie reagiert. Mit ihrem trunksüchtigen Ehemann Humpty (Jim Belushi), der ein Karussell betreibt, ist sie nur zusammengekommen, da er ihr ein Dach über dem Kopf bieten konnte – außergewöhnlich ist, dass sich ihre gemeinsame Unterkunft direkt neben dem Riesenrad befindet, das für die permanente Beleuchtung im Haus verantwortlich ist.

Aus dieser komplexen Konstellation strickt Allen einen Plot zusammen, der nicht ganz so originell wie seine inszenatorische Umsetzung ist: Ginny beginnt aus Frustration über ihre unglückliche Zweckehe eine Affäre mit dem jungen und lebenshungrigen Mickey (Justin Timberlake), der einmal als Bühnenautor in die Fußstapfen des berühmten US-Dramatikers Eugene O'Neill treten möchte. Irgendwann verknallt er sich dann aber in Humptys Tochter (Juno Temple), die wiederum von ihrem Gatten verfolgt wird, der der Mafia angehört.

Am Ende mündet das alles erwartungsgemäß in ein heilloses Schlachtfeld aus Eifersucht und Verrat, wie man es aus dem klassischen Hollywood-Kino der alten Meister kennt. Wenn auch nicht so hoffnungslos vielleicht. Ab Freitag im Kino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2018)

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