180-Grad-Wende: USA wollen mit Taliban reden

180-Grad-Wende: USA wollen mit Taliban reden
180-Grad-Wende: USA wollen mit Taliban reden(c) EPA (Filip Singer)
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Der US-Kommandant der Afghanistan-Schutztruppe will die Taliban durch Truppenaufstockungen zermürben. Grundsätzlich müsse aber "am Ende eines jeden Konflikts eine politische Lösung stehen".

Der Oberbefehlshaber der Nato-Truppen in Afghanistan hat ganz offenkundig genug vom Krieg am Hindukusch: „Mein persönliches Gefühl als Soldat sagt mir, dass genug gekämpft worden ist“, erklärte US-General Stanley McChrystal in einem am Montag veröffentlichten Interview mit der Zeitung „Financial Times“.

Nun sollte versucht werden, einen Verhandlungsfrieden mit den aufständischen Taliban zu erreichen, sagte der General im Vorfeld der für Donnerstag angesetzten internationalen Afghanistan-Konferenz in London. Dort soll eine neue Strategie für das kriegsgeplagte Land erörtert werden.

McChrystals Aussage markiert eine 180-Grad-Wende in der amerikanischen Afghanistan-Politik. Die bis vor einem Jahr amtierende Regierung von George W. Bush hatte Gespräche mit den Taliban kategorisch abgelehnt. Vorschläge des afghanischen Präsidenten Hamid Karzai, den Dialog mit den Aufständischen aufzunehmen, hatte aber auch die Regierung von Barack Obama bis vor Kurzem noch abgelehnt. Doch nun hat sich die Marschrichtung Washingtons offenbar geändert.

„Ich würde mir wünschen, dass jeder Teilnehmer die Konferenz in London mit einer neuen Verpflichtung verlässt, und dass diese Verpflichtung zum richtigen Ergebnis für das afghanische Volk führt“, sagte General McChrystal.

Damit gehen die USA offenbar auch auf Vorschläge von Kai Eide, dem scheidenden UN-Chef in Afghanistan, ein. Eide fordert seit Langem Gespräche mit den Taliban und ihre Beteiligung an der Regierung in Kabul, um den Kämpfen ein Ende zu setzen.

Das Credo der Taliban

Der norwegische Diplomat schlug auch vor, wie dieses Ziel zu erreichen sei: Eide rief dazu auf, einige Talibananführer von der Terrorliste der Vereinten Nationen zu streichen, um den Weg für direkte Gespräche zu ebnen. „Wenn man relevante Ergebnisse erzielen will, muss man mit den Personen sprechen, die Verantwortung haben.“

McChrystals Erklärungen kamen aber nicht ganz überraschend. Bereits Anfang Jänner hatte Richard Holbrooke, der US-Sonderbeauftragte für Afghanistan und Pakistan, erklärt, eine Aussöhnung zwischen moderaten Taliban und der afghanischen Regierung stehe „ganz oben auf der Prioritätenliste“. Er erklärte, bis zu siebzig Prozent der Aufständischen stünden in keinerlei Verbindung zum Terrornetzwerk al-Qaida oder der obersten Talibanführung, sondern kämpften aus nationalistischen Gründen.

Afghanistan-Experten schätzen die Lage ähnlich ein. Viele Afghanen hätten sich erst in den vergangenen zwölf Monaten den Aufständischen angeschlossen, nachdem bei Luftangriffen der Nato-Schutztruppe Isaf immer wieder Zivilisten getötet worden seien.

Jedoch geht McChrystal nicht davon aus, dass sich die Taliban ohne Weiteres auf Gespräche einlassen werden. Denn deren Credo lautet seit eh und je: Erst sollen sich die ausländischen Truppen aus Afghanistan zurückziehen, dann kann über eine Friedenslösung nachgedacht werden. Der US-General glaubt daher, dass es nur zu Verhandlungen kommen wird, wenn der Druck der US-geführten Nato-Truppen auf die Taliban noch erhöht wird. Die Verstärkung des Afghanistan-Kontingents um weitere 37.000 US- und Nato-Soldaten soll dieses Ziel herbeiführen. Die Aufstockung soll die Taliban in die Defensive drängen und die verlustreiche militärische Pattsituation auflösen.

„Gewalt wird zunehmen“

Grundsätzlich aber sei er überzeugt, „dass am Ende eines jeden Konflikts eine politische Lösung stehen muss“. McChrystal bremste jedoch Wunschvorstellungen, dass es schon bald Verhandlungen geben könnte. Es werde in diesem Jahr noch eine „deutliche Zunahme der Gewalt“ geben. Doch in einem Jahr könnten die Aufständischen „verzweifelt“ genug sein; dann sei der Zeitpunkt gekommen, Gespräche zu beginnen – auch mit der Talibanführung. Bis dahin könnte es jedoch noch ein langer Weg sein. Erst vor einer Woche hatte sich Afghanistans Präsident Karsai für Gespräche mitg den Taliban ausgesprochen. Die Antwort der Aufständischen tags darauf: Vermutlich rund zwei Dutzend schwer bewaffnete Kämpfer und Selbstmordattentäter griffen im schwer gesicherten Zentrum von Kabul an. Erst nach mehreren Stunden gelang es afghanischen und US-Soldaten, die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen.

Die deutsche Regierung, zuletzt mit Forderungen der Nato-Partner konfrontiert, mehr Truppen nach Afghanistan zu entsenden, beriet am Montagabend über ihren Beitrag zur Londoner Afghanistan-Konferenz. Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte ein „Gesamtpaket“ an, bei dem es „sowohl um den militärischen Schutz der Zivilbevölkerung als auch um zivilen Wiederaufbau geht“. Leitartikel, S.27

Auf einen Blick

Auf der Londoner Konferenz am Donnerstag soll über die Zukunft Afghanistans beraten werden. An dem Treffen nehmen Vertreter Afghanistans, der UNO und jener Länder teil, die Soldaten am Hindukusch stationiert haben. Etwa 60 Staaten werden sowohl Truppenaufstockungen wie ein verstärktes ziviles Engagement erörtern. Ziel: das kriegsgeplagte zentralasiatische Land endlich zu befrieden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26. Jänner 2010)

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