Leitartikel

Warum sich ein zweiter Blick auf die Südtiroler Pässe lohnt

Außenministerin Karin Kneissl wählte als Ziel für ihre zweite Auslandsreise Rom aus.
Außenministerin Karin Kneissl wählte als Ziel für ihre zweite Auslandsreise Rom aus.(c) APA/AFP/TIZIANA FABI
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Grundsätzlich ist es eine positive Geste. Doch eine Doppelstaatsbürgerschaft könnte die Bevölkerung wieder ein Stück weit auseinanderbringen.

Es gibt nicht viele Passagen im türkis-blauen Regierungsprogramm, die im Ausland mehr Aufmerksamkeit als im Inland generieren. Jene über Südtirol ist mit Sicherheit so eine: „Im Geiste der europäischen Integration und zur Förderung einer immer engeren Union der Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten wird in Aussicht genommen, den Angehörigen der Volksgruppen deutscher und ladinischer Muttersprache in Südtirol [. . .] die Möglichkeit einzuräumen, zusätzlich zur italienischen Staatsbürgerschaft die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben.“ Destillieren wir die Botschaft aus diesem Satzungetüm: Eine bestimmte Gruppe in Südtirol soll Zweitpässe erhalten.

Auf den ersten Blick ist es ein positives Signal, eine symbolische Geste: Warum einer Minderheit, mit der sich Österreich verbunden fühlt und die sich umgekehrt mit dem Land identifiziert, nicht einen Pass ausstellen? Denkt man die Pläne konsequent zu Ende, muss man allerdings feststellen: Ganz so einfach ist dieses Vorhaben nicht. Und zwar aus mehreren Perspektiven – aus Rom, Bozen und aus Wien.

Beginnen wir mit dem weniger komplexen Blickwinkel, nämlich dem italienischen. Außenministerin Karin Kneissl wählte als Ziel für ihre zweite Auslandsreise Rom aus. Dort traf sie am Dienstag nicht nur auf Amtskollegen Angelino Alfano, sondern auch auf eine gehörige Portion Skepsis. Denn Italien ist von Österreichs Plänen wenig begeistert. Allerdings stößt sich das Nachbarland weniger an der Sache an sich (der Doppelstaatsbürgerschaft) als an dem Stil: Noch bevor die neue Regierung Italien offiziell über ihr Vorhaben informiert hatte, verkündeten FPÖ-Politiker in Südtirol die weitere Vorgangsweise. Formulieren wir es vorsichtig: Diplomatisches Geschick sieht anders aus.

Als Türkis-Blau daraufhin betonte, nur im Konsens mit sämtlichen Beteiligten vorgehen zu wollen, schienen die Wogen aber etwas geglättet. Sachliche Gegenargumente kann Italien ohnehin nicht aufbringen: Immerhin erlaubt das Land Zweitpässe und hat für Minderheiten im Ausland ebenfalls eigene Regelungen.

Etwas weiter nördlich sorgen die Pläne für mehr Irritation, und zwar in Bozen. Sollte die Regierung die Doppelstaatsbürgerschaften nur für die deutschsprachige und ladinische Gruppe erlauben, stellt sich die Frage: Wer gehört dazu? Die Bevölkerung lässt sich nicht mehr klar unterteilen. Oft gibt es mehrsprachige Familien, deren Identitäten nicht auf eine Sprache oder Kultur zurückzuführen sind. Wer entscheidet, wer einen Pass erhält – und auf welcher Basis?

Eine Möglichkeit wäre die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung, die jeder Südtiroler abgeben muss. Allerdings gibt es hier keine Überprüfungen. Es ist vielmehr ein formaler Akt, der bei der Vergabe öffentlicher Posten nötig ist. Diese Zugehörigkeit kann man im Lauf des Lebens ändern – und selbst Zugezogene, die nach Südtirol kommen, müssen sich entscheiden. In Bozen ist man sich bereits einig: Auf Basis dieser Zugehörigkeit kann man keine Pässe verteilen. Eine wirkliche Alternative gibt es aber nicht. Ahnenforschung zu betreiben, um ethnische Wurzeln festzustellen, hinterlässt auch einen negativen Beigeschmack.

In der Region, die lang an einem friedlichen Zusammenleben arbeiten musste und muss, könnte die Doppelstaatsbürgerschaft die Bevölkerung also wieder ein Stück weit auseinanderbringen. Im „Geiste der europäischen Integration“, wie es im Regierungsprogramm steht, wäre das nicht. Vor allem, weil jene politische Parteien, die Zweitpässe hauptsächlich propagieren, es als ersten Schritt für „Los von Rom“ sehen.

Und dann gibt es auch noch die österreichische Perspektive: Das Land, das Doppelstaatsbürgerschaften grundsätzlich nicht erlaubt, muss eine gesetzliche Ausnahme formulieren. Bei Nachfahren von Opfern des Nationalsozialismus, für die auch ein Zweitpass vorgesehen ist, sollte das kein Problem darstellen. Neben der Frage, wer „die Südtiroler“ eigentlich sind, ist noch offen: Werden sie von der Wehrpflicht befreit? Erhalten sie das Wahlrecht auf allen Ebenen? Welche Folgen hat dies für andere Minderheiten? Beantworten muss diese Fragen, wer sie aufgebracht hat: die Regierung.

E-Mails an: iris.bonavida@diepresse.com

 

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2018)


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