Ski. Toni Sailer wurde 1974 in Zakopane wegen Gewalttätigkeit an einer Polin angezeigt. Zur Anklage kam es nie, 2018 tauchte der Akt auf und sorgt in der Hahnenkammwoche für Kontroversen.
Der Vorfall liegt mehr als 44 Jahre zurück, doch jetzt sorgen das Vorliegen des Aktes und das penible Nacherzählen der Causa für neue Unruhe in Österreichs Sport- und Medienlandschaft. Der Vorwurf ist auch gewaltig: Toni Sailer, der 2009 verstorbene Ski- und Filmstar, soll am 4. März 1974 eine junge Polin in Zakopane vergewaltigt haben.
Berichte der Recherche-Gemeinschaft „Standard“, „Ö1“ und „Dossier“ schildern nicht nur den Ablauf, sondern dokumentieren vor allem die Interventionen der damaligen Bundesregierung unter Bruno Kreisky.
Sailer war 1974 in seiner Funktion als ÖSV-Alpindirektor in Polen gewesen. Der damals 38-Jährige wurde in Zakopane wegen des Vorwurfs der „Notzucht“ festgenommen, ihm der Pass abgenommen. Der Grund: Die Prostituierte Janina S. hatte Anzeige erstattet.
Prellungen, Bisswunden
Was war passiert? Der Abend wurde so rekonstruiert: Zwei für eine italienische Skischuhmarke arbeitende Jugoslawen (aus dem heutigen Slowenien) hätten den alkoholisierten Skistar auf ihr Zimmer im Hotel Sport eingeladen. Anwesend war auch Janina S., 28. Im Akt werden „Körperschädigungen“ angeführt: Prellungen in der Steißbeingegend, Blutgeschwulste und Bisswunden am Oberarm. Infolgedessen sind die Körperfunktionen für den Zeitraum bis zu sieben Tagen gestört worden.“ Damit ist jedenfalls zu erahnen, was zuvor geschehen sein könnte, doch Beweise und essenzielle, belastende Aussagen fehlen.
Sailer beteuerte seine Unschuld. Einer der Slowenen befeuerte die Version, es sei eine „Falle“ gewesen. Für die im Ostblock damals herrschenden Zustände, obendrein in einem einschlägig bekannten Hotel, soll ein derartiges Vorgehen nicht ungewöhnlich gewesen sein. Das alles erklärt aber weder die Verletzungen der Frau, noch warum Sailer, damals auf Dienstreise, überhaupt der Einladung in das Hotelzimmer gefolgt ist. Weitere Aussagen fehlen.
Kirchschlägers „Weisungen“
Lesenswert sind die an einen Polit-Thriller erinnernden Schilderungen der rigorosen „Aufräumarbeiten“ der damaligen Bundesregierung, Anrufe sowie „dringlichen Weisungen“ des damaligen Außenministers und späteren Bundespräsidenten, Rudolf Kirchschläger (gestorben 2000). Dessen Nachdruck bei den örtlichen Ermittlern, das Freigeben der Kaution über 5000 Dollar: Es verdeutlicht, wie viel Interesse an einer prompten Erledigung bestanden haben muss.
Es dokumentiert zudem, wie sehr Politiker, Diplomaten und Medien um den dreimaligen Olympiasieger von Cortina 1956, den Jahrhundertsportler, den „Schwarzen Blitz“ und Mädchenschwarm, bemüht waren. Sailer hatte sich am 5.?März 1974, also am Morgen nach dem Vorfall, umgehend per Telefon an die Botschaft gewandt und um Hilfe gebeten. So, wie es vermutlich jeder andere Österreicher getan hätte, dem im Ostblock der Pass abgenommen wurde.
Sieben Monate später erklärte der damalige ÖSV-Präsident, Kurt Schlick: „Das Verfahren gegen Sailer wurde wegen Fehlens eines strafbaren Tatbestandes eingestellt.“ Medien berichteten, Sailer sei rehabilitiert, ja freigesprochen. Der Verdacht der Gruppenvergewaltigung wurde nie zur Anklage gebracht, denn zuletzt war nur noch der Vorwurf einer „leichten Körperverletzung“ übrig geblieben. Am 9.?Juli 1975 stellte auch das Bezirksgericht Zakopane das Verfahren ein. Laut der damaligen Gesetzgebung war es nur ein Privatdelikt. Die Polin meldete sich nicht mehr, eine Privatanklage blieb aus.
Ein Sakrileg, durchwegs erboste Reaktionen
Kitzbühels Skilegende hat mit drei Olympiasiegen 1956 in Cortina und sieben WM-Titeln Skigeschichte geschrieben und war 1999 zu Österreichs Jahrhundertsportler gewählt worden. Er blieb bis 1976 beim ÖSV und gilt weiterhin als Ski-Idol. Sailer verstarb im August 2009 im Alter von 73 Jahren nach einem Krebsleiden. Auch Janina S. soll bereits verstorben sein.
Für ÖSV-Generalsekretär Klaus Leister, bereits 1974 im Amt, „war es keine ÖSV-Geschichte, das war nur eine Geschichte von Sailer“. In vielen Reaktionen von Fans der Ski-Ikone und Wegbegleitern wird der Zeitpunkt der Aufarbeitung des Akts thematisiert. Ein Idol dieser Größe nach dem Ableben infrage zu stellen, kommt in einem durch Wintersport geprägten Land fast einem Sakrileg gleich. Harti Weirather sagt: „Ich finde es nicht in Ordnung, dass man zum Hahnenkamm-Termin irgendeine Story ausgräbt – noch dazu über einen Menschen, der nicht mehr lebt.“
Seit den Missbrauchsvorwürfen der ehemaligen Skirennläuferin Nicola Werdenigg scheint die Aufklärungsarbeit über sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch im Umfeld von Spitzensport vor allem in den 70er- und 80er-Jahren allerdings erst begonnen zu haben. (fin)