Film: Winston Churchill als flegelhafter Populist

Gary Oldman spielt Churchill ausdrucksstark – trotz der Make-up-Berge auf seinem Gesicht.
Gary Oldman spielt Churchill ausdrucksstark – trotz der Make-up-Berge auf seinem Gesicht.(c) Jack English/ Universal Pictures
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In „Die dunkelste Stunde“ spielt Gary Oldman den britischen Premier als allzu menschlichen Querulanten, dessen Unbotmäßigkeit England vor dem Nationalsozialismus rettet: Ein Film, der oft wie Brexit-Seelenstärkung wirkt.

Der Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union rückt unaufhaltsam näher: Als EU-Ratspräsident Donald Tusk am Dienstag von „offenen Herzen“ sprach, sollte die britische Bevölkerung doch noch ihre Meinung ändern, fielen die Reaktionen des Austrittsverhandlungspartners beinahe brüskiert aus: Ein zweites Brexit-Referendum sei ausgeschlossen, hieß es vonseiten der Regierung. Einen Tag später wurde im Unterhaus ein wegweisendes Gesetz verabschiedet, das den Vorrang des EU-Rechts vor nationalem Recht beenden soll.

Doch der Brexit spaltet England nach wie vor – und es fällt schwer, jüngste Großproduktionen des britischen Historienkinos, die mit ungewohntem Nachdruck die Kraft und das Durchhaltevermögen der Nationalseele beschwören, nicht als Reaktionen auf diese Spaltung zu lesen. Christopher Nolans Kriegsblockbuster „Dunkirk“, über die Seerettung Hunderttausender britischer Soldaten aus deutscher Umzingelung in Nordfrankreich, machte 2017 den Anfang. Nun blickt „Darkest Hour“ von Joe Wright („Abbitte“, „Anna Karenina“) hinter die Kulissen der „Operation Dynamo“ – und auf die entscheidende Phase der ersten Amtszeit ihres Federführers Winston Churchill.

Ein schillernder Mann mit Makeln

Dass Churchill eine außergewöhnliche Persönlichkeit war, ein brillanter Redner, glühender Patriot und begnadeter Politiker, dessen Worte und Taten nicht nur im Kampf gegen Hitler entscheidend waren, das würden wohl die wenigsten bestreiten. Dass seine menschlichen Schwächen und streitbaren Ansichten kritikwürdig sind, ebenso. Doch seine Makel machen ihn erst nahbar. Und genau diesen Umstand nutzen Wright und sein Drehbuchautor Anthony McCarten für ihre filmische Denkmalsetzung.

Nur nicht Churchill! So heißt es daher zu Beginn, als die Tories im Mai 1940 nach einem Nachfolger des schwächelnden, von der Labour-Opposition bedrängten Premierministers Chamberlain suchen – nur nicht der ungebärdige Opportunist und Demagoge, der einst die Schlacht von Gallipoli in den Sand gesetzt hat und keinerlei Interesse an Verhandlungen mit Hitler hat! Doch weil der Appeasement-Freund Lord Halifax keine Lust hat, fällt dem Ungünstling der Posten dennoch zu – zum Glück, wie sich der Gegenwartszuschauer denkt.

Gespielt wird Churchill von Gary Oldman – mit künstlichem Wanst, begraben unter Bergen von Make-up, aber mimisch trotzdem ausdrucksstark. Wir sehen ihn erstmals durch die Augen einer neuen Sekretärin (Lily James) – ein dramaturgischer Kniff, der ironischerweise an die Einführung von Bruno Ganz' Hitler in „Der Untergang“ erinnert. Im Morgenmantel liegt Churchill im Bett, pafft an seiner Zigarre, regt sich auf, dass die nervöse junge Frau seinem Diktat nicht folgen kann. Später wird er sich zerknirscht bei ihr entschuldigen. Die Konturen der Charakterzeichnung sind gezogen: Churchill schert sich einen Dreck um Etikette, ist ein unermüdliches Arbeitstier, schwierig, aber genial, im Herzen ein Guter – und steht in herbem Kontrast zum elitär-zugeknöpften Pragmatismus seiner konservativen Kollegen, die sich durch die Hallen von Westminster flanierend darüber beschweren, er sei bloß ein Schauspieler, der sich gern reden hört.

Der Rest von „Darkest Hour“ konsolidiert (auf durchaus vergnügliche Weise) dieses Bild Churchills als rebellischer Querdenker, dessen Bruch mit den überholten Mores der alten Garden Englands Selbstbewusstsein regeneriert hat – und der Europa dank Dunkirk-Aktion vor dem Schlimmsten bewahrt hat. Der Film zeigt ihn im Düsterlicht des „War Rooms“, energisch mit der Beschwichtigerfraktion zankend, aber auch kurz vor der Verzweiflung beim Telefonat mit einem distanzierten Roosevelt. Und er stellt seine bekanntesten Reden und pikantesten Anekdoten nach: etwa jene, in der er dem königlichen Siegelbewahrer, dem „Lord Privy Seal“, ausrichten ließ, er sei gerade unerreichbar, weil „sealed in the privy“ – also am Abort. Wortwitz und clevere Derbheit, das macht einen Mann des Volkes aus. Und jede zweite Szene dient hier dazu, Churchill zu einem solchen zu adeln. Seine Gegner gehören allesamt einer abgehobenen Politikerkaste an. Unterstützt wird er hingegen von seiner duldsamen Gattin, Clemmie (Kristin Scott Thomas) – und, in einer fast schon peinlichen U-Bahn-Ausflugsszene, von einem repräsentativen Querschnitt „einfacher Leute“.

Ein etwas flegelhafter Populist, der das Establishment aufmischt – als Proto-Trump geht Churchill hier vielleicht nicht durch, aber Bezüge zu jemandem wie Boris Johnson könnte man durchaus herstellen. Das hat der Brexit-Architekt übrigens schon selbst gemacht, im 2014 erschienenen Bestseller „The Churchill Factor“. Und obwohl sich Regisseur Wright in Interviews von Johnsons Perspektive distanziert hat, ist seine Churchill-Vision nicht so weit von ihr entfernt: Auch er macht aus der nationalen Ikone letztlich eine Ikone des Nationalismus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2018)

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