Jungärzte

Österreichs Jungärzte - gefragt und "flüchtig"

Gregor Pogöschnik
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Das Interesse am Medizinstudium ist ungebrochen hoch. Zugleich sind die Warnungen vor einem Ärztemangel ungebrochen präsent - denn viele Jungärzte verlassen Österreich. Was sind ihre Beweggründe und wie geht das Land damit um? von Gregor Pogöschnik

Platz 6 in Sachen Gesundheitsausgaben, Platz 14 bei der Qualität der Behandlung - hier rangiert Österreich im EU-Vergleich.

Katrin ist 31 Jahre alt, hat in Wien studiert und arbeitet als Ärztin in Deutschland. Wie viele andere, hat sie es vorgezogen im Ausland zu arbeiten, obwohl Familie und Freunde in Österreich leben. Für ihre Fachrichtung gab es einfach zu wenig Angebot in der Bundeshauptstadt. „Und wenn schon nicht in Wien arbeiten, warum dann nicht gleich im Ausland, wenn die Bezahlung auch noch besser ist?“, lautet ihre Devise. Anders ist es bei Benjamin. Er ist 34 und Arzt in einem Wiener Krankenhaus. Der Deutsche hat einen ungewöhnlichen Werdegang hinter sich: Er studierte in Deutschland, kam dann nach Österreich, um hier zu arbeiten. „Ist das nicht die verkehrte Richtung?“, muss er sich immer wieder anhören. Und sich rechtfertigen:

Medizin – hartes Studium, hoher Andrang

Es gilt nicht nur als eines der schwersten, sondern ist auch eines der beliebtesten Studien: Medizin. Eine Rekordzahl an Anmeldungen hat die Medizinische Universität Wien im Frühjahr 2017 verzeichnet: 8030 Personen haben sich für ein Medizinstudium angemeldet, 6,8 Prozent mehr als im Jahr davor. Auch die medizinischen Universitäten Graz, Linz und Innsbruck konnten einen starken Anstieg an Bewerbungen verzeichnen. Für die insgesamt 1620 zur Verfügung stehenden Plätze haben sich österreichweit 15.991 für den Aufnahmetest registriert. Somit kann sich nur ca. jeder zehnte Interessent für ein Studium qualifizieren.

Gleichzeitig droht ein Ärztemangel, warnt die Ärztekammer. Auch das Gesundheitsministerium sieht Handlungsbedarf: Die ehemalige Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) hat 2017 eine genaue Untersuchung der Datenlage zu Studienabschlüssen und Ärztemangel angefordert, da derzeit noch unterschiedliche Zahlen aus verschiedenen Quellen eine genaue Beurteilung der Situation nicht zulassen.

Einigkeit besteht aber weitgehend bei nachfolgender Zahl: 20 Prozent der Medizinabsolventen verlassen Österreich kurz nach ihrer Ausbildung. Insbesondere ausländische Studenten ziehen es vor, weg oder zurück in ihre Heimatländer zu ziehen. Das Wissenschaftsministerium ist schon seit Längerem mit Brüssel in Kontakt, um eine Österreicherquote im Medizinstudium durchzusetzen, was nach derzeitigem EU-Recht nicht möglich ist. Besonders umstritten: die deutschen Studenten. Befreit vom Numerus Clausus in Deutschland versuchen viele in Österreich die Aufnahme zum Medizinstudium. In Österreich studieren, in Deutschland arbeiten, ist bei vielen die Devise.

Die Statistik Austria hat ermittelt, dass 80 Prozent der deutschen Medizinabsolventen in Österreich innerhalb von drei Jahren nach dem Studium das Land verlassen, der Großteil davon sogar im ersten Jahr. Auch bei anderen EU-Bürgern ist die Situation mit 60 Prozent Landflucht nicht viel besser. Dies betrifft übrigens nicht nur das Medizinstudium. Fachübergreifend verlassen im Schnitt 60 Prozent der Absolventen nach ihrem Abschluss das Land, wobei auch hier die Deutschen die Statistik anführen. Im Vergleich dazu bleiben 90 Prozent der Österreicher nach ihrem Studienabschluss im Land.

Österreich - (k)ein lebenswerter Ort?

Was bewegt nun die Mediziner abzuwandern? Angebote, etwa aus Skandinavien, geben Hinweise: In unterbesetzten Kleinorten bekommen Ärzte bezahlte Dienstwohnungen, kostenlose Sprachkurse, Kindergartenplätze und bezahlte Heimflüge geboten. Und nicht zu vergessen: in etwa die doppelte Bezahlung.

Auch in der Schweiz und Deutschland, wohin die meisten österreichischen Absolventen abwandern, sind die Arbeitsbedingungen besser. In der Schweiz verdient ein Absolvent im Schnitt bereits 69.500 Euro im Jahr, in Österreich 37.000 Euro brutto. Die Lebenserhaltungskosten in der Schweiz sind zwar höher, am Ende bleibt einem aber noch immer deutlich mehr übrig als in Österreich. Zudem gibt es in der Schweiz keine Zwangsbeiträge an die Ärztekammer. Auch kann man in der Schweiz über Zusatzleistungen wie Fortbildungen und Dienstwohnungen verhandeln, in Österreich ist die Verwaltung dahingehend deutlich unflexibler.

Ein Medizinstudium ist nicht billig. Ausbildungsräume, lehrende Spezialisten und Lehrmaterial kosten den Staat viel Geld, um die zukünftige Gesundheit des Landes zu gewährleisten. Ein Medizinstudent kostet den Staat 26.000 Euro pro Jahr was bei eine Studiendauer von sechs Jahren 156.000 Euro macht. Inklusive praktischer Ausbildung rechnet der Staat mit einem Verlust von 400.000 Euro pro abgewandertem Mediziner. Die Ärztekammer schätzt den jährlichen Schaden auf etwa 250 Millionen Euro. Um diesem Umstand Herr zu werden, sollen in Österreich neue Gehaltsschemata kommen. Österreich muss wettbewerbsfähiger werden, lautet die Devise.

Ansichtssache: Ärztemangel?

„60 Prozent der Ärzte sind in den nächsten zehn Jahren in Pension", warnt Johannes Steinhart, Vizepräsident der Ärztekammer vor einem Ärztemangel. „Hier gibt es noch kein großes Umdenken in der Politik". Allerdings: Ob und wie drastisch der Ärztemangel ausfallen wird, ist nicht genau beziffert, da die Datenlage noch nicht ausreicht.

Laut Schätzungen muss sich Österreich jedenfalls auf eine deutliche Verschärfung der Situation einstellen. 3000 bis 4000 Ärzte sollen demnach in Wien im Jahr 2030 fehlen, errechnet das Forschungsinstitut für freie Beruf der Wirtschaftsuniversität Wien. Im Jahr 2025 sollen auf einen Allgemeinmediziner 3338 und auf einen Facharzt 2914 Patienten kommen. Grund dafür ist nicht nur die Abwanderung der Jungärzte, sondern auch die hohe zahl an Pensionsantritten der Baby-Boomer Generation. Laut Steinhart sollen mehr als 60 Prozent der Kassenärzte in den nächsten zehn Jahren das Antrittsalter erreichen. In Wien soll es 2030 überhaupt nur mehr 190 Hausärzte mit Kassenvertrag geben.

Nicht ganz so dramatisch bewertet die Wiener Gebietskrankenkasse die Lage: Nach wie vor gebe es breites Interesse an Kassenverträgen und die zunehmende Zahl der Studierenden sollte dem zusätzlich entgegenwirken. Außerdem wurde die Mindestöffnungszeit für Ordination im Jahr 2004 auf 20 Stunden erhöht und niedergelassene Ärzte dürfen bis 70 Arbeiten.

Wie schwierig die Situation zu beurteilen ist, erzählt auch ein Arzt am Wiener AKH. Er sieht in Wien derzeit keinen akuten Ärztemangel, vielmehr liege ein Stadt/Land-Gefälle vor. In den Städten sei die Situation bei weitem nicht so dramatisch wie in den ländlichen Gebieten. So werde für eine Arztstelle in Vorarlberg teilweise das doppelte Gehalt geboten als in Wien, um die Abwanderung in die Schweiz zu verhindern. Auch die Ansprüche hätten sich durch die zusätzliche Exklusivität der Ärzte erhöht. Sie haben heute eine bessere Auswahl und mehr Freiheiten. Das habe sich vor allem nach Beschluss der neuen Ärzteausbildung 2014 bemerkbar gemacht.

Reformen der Medizinerausbildung am Weg

2014 beschloss die damalige Bundesregierung nach langem Tauziehen die neue Ärzteausbildung. Statt wie bisher drei bis vier Jahre Turnusausbildung zum praktischen Arzt, bekommen Jungärzte seither eine neunmonatige Basisausbildung in der sie Grundkenntnisse in Chirurgie und Innerer Medizin lernen. Erst danach kommt es zu einer Spezialisierung zur Allgemeinmedizin oder einer Fachdisziplin. Die Ausbildung zum praktischen Arzt dauert dann zusätzliche vier, bei Fachärzten sechs Jahre. Somit dauert die Ausbildung von der Matura bis zum fertigen Facharzt inklusive Studium zwölf Jahre.

Das Wegfallen der Turnusausbildung ist es, was vielen vor allem kleineren Krankenhäusern auf den Kopf fällt. Früher konnte jeder Medizin studieren und die Arbeitsplätze waren begrenzt. Krankenhäuser hatten die Wahl, sich für besser ausgebildete Ärzte zu entscheiden, was dazu führte, dass viele die schlechter bezahlte Turnusausbildung wählten und die Häuser leichter zu billigen Arbeitskräften kamen. Das ist jetzt anders. Durch die Änderung der Ausbildungsverordnung und den steigenden Bedarf an Ärzten können diese sich zunehmend für bessere Optionen entscheiden und den Häusern fehlen oft schlichtweg die Mittel ihre offenen Stellen attraktiver zu machen.

Freilich: An sich haben Jungärzte im Krankenhaus geregelte Arbeitszeiten von Montag bis Freitag 8 bis 16 Uhr. Diese wird mit etwa 3500 Euro brutto im Monat vergütet. Dazu kommen Nachtdienste, die extra vergütet werden und nicht in die normale Arbeitszeit fallen. Durch diese – meist freiwillige Option - kann es zu erheblichem Mehraufwand kommen, wodurch viele Ärzte eine 55 bis 60 Stundenwoche haben. Maximal sind 60 Stunden pro Woche erlaubt, was den Verwaltungsaufwand bei gleichzeitiger Knappheit an Personal erschwert. Viele Ärzte klagen über Übermüdung und Fahrlässigkeit seitens des Gesetzgebers. Notfälle bedürfen hoher Konzentration und die ist nach über zwölf Stunden Stunden Dienst oder mehr nicht immer gegeben.

Gemischte Zukunft

Um dem Problem nachhaltig Herr zu werden, braucht es Wohl einen Mix an Maßnahmen. Zum Einen, Arztgehälter die im internationalen Wettbewerb bestehen können und zum Anderen ausreichend Ausbildungsplätze, um die bevorstehende Pensionierungswelle abzufedern. Für Arzt Benjamin ist man auf jeden Fall auf dem richtigen Weg. Die Situation für ihn hat sich in den letzten Jahren verbessert, es gibt aber noch Baustellen. Vor allem der Verwaltungsaufwand für die Ärzte sei noch sehr hoch:

Neben fehlender Attraktivität des österreichischen Arbeitsmarktes für Ärzte sieht Ärztin Katrin auch in der fehlenden Gleichschaltung der Systeme ein Problem. Sie würde bei jetzigem Wechsel nach Österreich ein Jahr ihrer Facharztausbildung verlieren. „Ich möchte zurück nach Österreich“, sagt sie. „Aber nicht um jeden Preis.“

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