Erdoğans gefährliches Spiel

Türkisches Militär beim Vormarsch auf die syrische Grenze. Am Sonntag drang die Armee mit Panzern und Bodentruppen in das Bürgerkriegsland ein.
Türkisches Militär beim Vormarsch auf die syrische Grenze. Am Sonntag drang die Armee mit Panzern und Bodentruppen in das Bürgerkriegsland ein.(c) APA/AFP/BULENT KILIC
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Mit dem Einmarsch in Syrien riskiert die Türkei neue Spannungen mit den USA und schürt den Kurdenkonflikt im eigenen Land. Am Montag tagt der UN-Sicherheitsrat.

Ankara. Mit Panzern und Bodentruppen ist die Türkei am Sonntag mehrere Kilometer tief auf das Staatsgebiet des Nachbarn Syrien vorgestoßen, um gegen die Kurdenmiliz YPG vorzugehen. Bei der dritten und bisher risikoreichsten Militärintervention der Türkei in Syrien nahmen türkische Einheiten laut Ankara in der Gegend um das nordwestsyrische Afrin ein Dorf ein, das bisher von der YPG gehalten wurde.

Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan sagte, die YPG solle aus der gesamten Region vertrieben werden. Zugleich wurde aber deutlich, dass die Intervention den Kurdenkonflikt in der Türkei selbst verschärfen dürfte. Die mit der YPG verbündete kurdische Terrororganisation PKK rief ihre Anhänger zur Gegenwehr auf.

Türkische Panzerverbände und Elitetruppen rückten in der Gegend um Afrin zusammen mit Kämpfern protürkischer syrischer Milizen vor. Vorausgegangen waren türkische Luftangriffe und ein Artilleriebeschuss auf YPG-Stellungen. Die Kurdenmiliz, die Afrin seit dem Jahr 2012 beherrscht, warf der Türkei vor, dabei auch mehrere Zivilisten getötet zu haben.

Türkei kritisiert UN-Sitzung im Sicherheitsrat

Mit der Offensive riskiert Erdoğan nicht nur neue Spannungen mit den USA, die der syrischen Kurdenmiliz viele Waffen für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) geliefert haben und auch in Zukunft in Nordsyrien auf die YPG setzen wollen. Auch Russland, die Schutzmacht des syrischen Präsidenten, Bashar al-Assad, ist alarmiert: Moskau hat den Krieg in Syrien für beendet erklärt und will als Friedensbringer in Erscheinung treten. Die türkische Intervention gefährdet dieses Ziel. Bereits am Montag wird der UN-Sicherheitsrat in New York auf Antrag Frankreichs zu Konsultationen zusammenkommen.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu reagierte scharf auf die französische Initiative. Wenn Frankreich oder ein anderes Land den Einsatz vor die UNO bringe, stehe es nicht als Verbündeter an der Seite der Türkei, sondern vielmehr an der Seite einer Terrororganisation und werde von Ankara dementsprechend behandelt, sagte er nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu.

Zum Teil entspricht Erdoğans Angriff der traditionellen türkischen Doktrin, wonach eine kurdische Autonomie als Bedrohung der nationalen Sicherheit gilt und nicht hingenommen werden darf. Ankara befürchtet, dass eine kurdische Selbstverwaltung im Norden Syriens der PKK neue Möglichkeiten geben würde, über ihren syrischen Ableger YPG auf Kurdengebiete in der Türkei einzuwirken.

Innenpolitische Stärkung

Bereits im Sommer 2016 und im vergangenen Herbst hatte Erdoğan türkische Einheiten nach Syrien geschickt, um die Vergrößerung kurdischer Gebiete auf der syrischen Seite der 900 Kilometer langen Grenze zu verhindern. Nun weitet die Türkei mit der Operation Olivenzweig die Ziele des Konflikts aus und will die YPG aus Afrin und dem weiter östlich gelegenen Manbidsch bis auf das Ostufer des Euphrat zurückdrängen. Ministerpräsident Binali Yildirim sagte, auf der syrischen Seite der Grenze solle eine 30 Kilometer tiefe Sicherheitszone eingerichtet werden, um die YPG dauerhaft von der Türkei fernzuhalten. Premier Yildirim bezifferte die Zahl der YPG-Kämpfer in Afrin auf bis zu 10.000. Die Gegend solle „von allen Terrororganisationen gesäubert“ werden. Die YPG erklärte jedoch, die türkischen Angriffe seien zurückgeschlagen worden. Im Norden und Westen Afrins tobten schwere Gefechte.

Beim Vorgehen gegen militante Kurden, die noch dazu von den bei vielen Türken höchst unbeliebten USA unterstützt werden, kann sich Erdoğan einer breiten innenpolitischen Unterstützung sicher sein. Als größte Oppositionspartei erklärte die säkularistische CHP ihre Unterstützung für die Intervention. In regierungsnahen Medien wird die Operation Olivenzweig als historischer Erfolg gefeiert. „Jetzt ist die Zeit des Sieges“, titelte die Erdoğan-treue Tageszeitung „Yeni Safak“.

Regierungsgegner in der Türkei stellen jedoch die Frage, warum Erdoğan ausgerechnet jetzt militärisch eingreift. Dem Präsidenten gehe es um die im nächsten Jahr anstehenden Wahlen, schrieb der Journalist Aydin Engin in der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“. Nationalistische Begeisterung könnte für Erdoğan von Vorteil sein.

Allerdings dürfte die Intervention beim Nachbarn in der Türkei selbst auch für neue Unruhe sorgen. PKK-Kommandeur Murat Karayilan rief die Kurden zur „Mobilisierung“ gegen den türkischen Angriff auf Afrin auf. Im türkischen Grenzort Reyhanli schlug am Sonntag eine aus Syrien abgefeuerte Rakete ein und tötete einen Menschen. Erdoğan ist sich der Gefahr einer neuen Eskalation des Kurdenkonflikts bewusst. Proteste gegen die Afrin-Intervention würden nicht hingenommen, sagte er am Sonntag: „Wer sich uns entgegenstellt, wird niedergewalzt.“

LEXIKON

YPG. Die Kurden gehören zu den bedeutendsten Kriegsparteien in Syrien. Kämpfer der Kurdenmiliz YPG, die von den USA unterstützt werden, kontrollieren große Teile im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei, wo die Kurden eine Selbstverwaltung eingerichtet haben. Die Kurdenpartei PYD und ihre Miliz YPG sind eng mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK verbunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2018)

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