Dünne Luft in den Bergen: ein Anti-Heimatfilm

(c) Filmdelights/Klemens Hufnagl
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„Die Einsiedler“ erzählt gemächlich bis langatmig vom schwindenden Leben in Südtirol.

Die Zeiten, als verklärte Vorstellungen vom Landleben die Utopien des österreichischen Kinos befeuerten, sind vorbei. Spätestens seit Fritz Lehners unerbittlicher Verfilmung von Franz Innerhofers Entwicklungsroman „Schöne Tage“ (1981) würde die Rückkehr zum Kitschbild der Alm als grün, blau und rot-weiß-rot strahlendes Elysium seltsam wirken. Stattdessen hat sich der Anti-Heimatfilm als Gegen-Genre durchgesetzt. Der Südtiroler Ronny Trocker reiht sich seinem ersten Langspielfilm „Die Einsiedler“ ein.

Im Zentrum steht eine Bauernfamilie im Vinschgau: Während Sohn Albert (Andreas Lust), der seine Geschwister bei einem Lawinenunglück verloren hat, in einem Marmorbruch im Tal hackelt, versuchen die Eltern, ihr altes Gehöft oben auf dem Berg am Laufen zu halten.

Dichter Nebel, schwerer Regen

Ein verlorener Posten, das macht der Film von Anfang an klar – seine größte Stärke ist die Inszenierung des Bauernhofs als Ort, der langsam, aber sicher aus der Welt fällt. Erreichbar über lange Fußmärsche und eine archaische Materialseilbahn, ummantelt von dichtem Nebel, erscheint die Natur dort als feindliche Kraft. Krähen kreisen am Himmel, schwerer Regen vergatscht jeden Pfad, Kälte dringt in die Knochen. Die Arbeit ist hart. Kein Wunder, dass Albert dieses Erbe nicht antreten will. Insgeheim versteht ihn seine Mutter (Ingrid Burkhard mit Südtiroler Idiom) – doch nach außen hin gibt sie sich stolz und stur, entschlossen, bis zum absehbaren Ende durchzuhalten.

Trocker nimmt sich Zeit für diese Atmosphäre des Verfalls, zeigt den Bauernalltag, das Schleppen von Milchkannen, das einsame Mahl in einer graubraunen Küchenhöhle. Nur selten punktieren Momente der Zärtlichkeit die Tristesse. Parallel schildert er Alberts Tasten nach der Möglichkeit eines anderen Lebens – etwa seinen Versuch, eine Beziehung zu einer ungarischen Kantinenköchin (Orsi Tóth) aufzubauen. Wie sich erweist, ist er nicht der einzige, den es fortzieht.

Das Tempo des Films ist gemächlich, um nicht zu sagen langatmig. Das entspricht der Zeitlichkeit des Settings; manche Stimmungsbildungsszenen wirken trotzdem müßig. Als an einer Stelle unvermittelt ein Eckkreuz zerschossen wird, schreckt man auf wie aus einer Trance. Was durchaus im Einklang mit der Erzählebene steht: Wer Illusionen zu lang nachhängt, wird von ihnen verschluckt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2018)

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