Es ist unser Recht, es sind unsere Daten

Endlich formiert sich eine politische Gegenbewegung zur Front der hyperaktiven Datenabsauger.

John F. Kennedy hat es bereits zu Beginn der 1960er-Jahre versucht. Sein nationales Datenzentrum, in dem jeder US-Bürger registriert werden sollte, scheiterte am Widerstand der US-Parlamentarier. Fünfzig Jahre später sind es die EU-Parlamentarier, die den unstillbaren Sehnsüchten amerikanischer Datensammler den Riegel vorschieben. Mit ihrem angekündigten Nein zur Weitergabe aller Banküberweisungsdaten an die USA haben sie ein wichtiges Zeichen gesetzt. Endlich formiert sich breiter politischer Widerstand gegen ein Überwachungssystem, das bereits tief in unser Privatleben eindringt.


Bei allem Verständnis für das amerikanische Terrortrauma muss eine Grenze gezogen werden, um weitere Beschädigungen eines Grundrechts zu vermeiden. Die Forderungen der US-Sicherheitsbehörden nach Übermittlung von Fluggastdaten und nach Zugriff auf Bankdaten stellt sogar ureigene amerikanische Prinzipien wie das im neunzehnten Jahrhundert entwickelte „Right of Privacy“ infrage. Demnach muss es nämlich jedem Bürger freistehen, selbst darüber zu entscheiden, welche Gedanken, Meinungen und Informationen er öffentlich macht und welche nicht. Dieses Recht war lange die Bibel des Datenschutzes, die Grundlage des freien, vom Staat unabhängigen Individuums.
Wenn heute argumentiert wird, dass sich viele durch ihre Homepage, durch Facebook und Twitter sowieso offenlegen, ist das zwar den Fakten nach richtig. Falsch ist aber, dass daraus eine Zustimmung zum generellen Absaugen aller Daten abgeleitet werden kann. Auch in Zeiten des Internets muss es unsere eigene Entscheidung bleiben, was wir preisgeben.


Die reale Angst vor neuen Terroranschlägen darf nicht dazu führen, dass wir uns bisher so wichtige liberale Grundrechte wie den Datenschutz zerstören lassen. Das Argument „Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten“ ist nur eine Metapher einer weitverbreiteten Naivität. Sie wird von Sicherheitsbehörden geschürt, um an einem Überwachungsstaat weiterzubauen. In derselben Logik könnten wir Priestern erlauben, das Beichtgeheimnis zu brechen, wir könnten unseren Arzt von der Verschwiegenheitspflicht entbinden. Dann dürften wir uns freilich nicht mehr wundern, wenn Polizeibehörden und Versicherungen von uns Verlässlichkeitsprofile serstellen, wenn unsere Darmspiegelung auf YouTube veröffentlicht wird und wir irgendwann einen Chip injiziert bekommen, der unseren Alkoholkonsum dokumentiert.


„Na und, warum nicht?“, werden die verbliebenen Sicherheitsbegeisterten fragen. Darum, weil unser Leben immer ein Auf und Ab, eine schicksalshafte Hochschaubahn an guten und schlechten Entscheidungen ist. Es gibt Familienkrankheiten, Schulden, Jugendsünden, die wir vielleicht längst überwunden haben. Deshalb ist es absurd, sie zur jeweils aktuellen Bewertung unserer Person heranzuziehen.

Wer seinen Chef auf Facebook beschimpft und irgendwann später von seinem Hassobjekt dafür zur Verantwortung gezogen wird, ist selbst schuld. Wer seine Verdauungsprobleme in Kolumnen beschreibt und dann von seinen Kollegen keine Schokolade mehr angeboten bekommt, ebenso. Doch die Selbstbestimmung ist durchbrochen, wenn eine Spende an eine afghanische Volksmusikgruppe oder an einen kurdischen Freund, der aus einer PKK-Familie stammt, zur Observierung amerikanischer Geheimdienste führen kann.

Moment, hier ist genau der Widerspruch“, mögen die letzten verbliebenen Sicherheitsfanatiker einwerfen. Aber auch sie irren: Die Nutzung von Daten zur Kriminalitätsbekämpfung soll gar nicht infrage gestellt werden. Schon bisher konnte über einen richterlichen Beschluss ein Verdächtiger abgehört werden, es konnten seine Daten gesammelt werden. Aber es musste ein eindeutiger Zusammenhang mit einem Delikt bestehen. Die Bereitstellung aller Bankdaten, wie es die USA nun fordern, ist die Umkehrung dieses Prinzips: Hier wird der Wald zum Roden freigegeben, obwohl nicht einmal sicher ist, dass ein einziger Baum vom Borkenkäfer befallen ist. Was mit den Daten geschieht, ob sie für Dritte zugänglich gemacht werden, ob sie der Wirtschaftsspionage genauso dienen wie den Steuerbehörden – all das ist offen.


Wer noch immer meint, er habe nichts zu verbergen, der soll es einfach tun: Er soll seine Kontoauszüge ins Netz stellen, seine Reiseziele, Sexualgewohnheiten und den Inhalt seiner letzten Beichte veröffentlichen. Es ist seine eigene freie Entscheidung. Ich aber würde das nicht tun. Mein Leben geht weder die USA noch Sie etwas an!


wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2010)

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