Ungeheuer im Hotel Strindberg

Hotel Strindberg | Simon Stone nach August Strindberg | Akademietheater
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Simon Stone hat am Akademietheater eine Riesencollage gewagt, basierend auf mehreren Werken von August Strindberg – und gewonnen. Ein Übermaß vom wilden Schweden.

Gute Tragödien, im richtigen Leben wie auf der Bühne, sind durch Lachen leichter zu ertragen. Wenn es für den Prinzen Hamlet ausweglos wird, baut William Shakespeare in sein tödliches Stück eine absurde Totengräberszene ein, die wenigstens mit ein paar prosaischen Passagen voll schwarzen Humors tröstet und hilft. Der Theatermacher Simon Stone hat solch einen Kunstgriff bei einer gewaltigen Collage von Kammerspielen des schwedischen Extremdramatikers August Strindberg angewandt, die am Freitag im Akademietheater uraufgeführt wurde. „Hotel Strindberg“ wurde enthusiastisch bejubelt, besonders gelungen sind Spurenelemente an Komödie, die der 33-jährige Regisseur eingebaut hat.

Strindbergs vor mehr als hundert Jahren verfasste Beziehungsdramen, die allesamt auch Generalanklagen der Schlechtigkeit von Frauen sind, führen direkt in die Hölle oder zumindest in die Nervenheilanstalt. Sie sind nichts für zarte Seelen. Und diese Aufführung hat wirklich nichts an Gemeinheit ausgespart: In viereinhalb Stunden wurden Szenen aus sieben Dramen für diese zeitgeistige Neuschöpfung verwendet – „Gespenstersonate“, „Der Pelikan“, „Der Vater“, „Mit dem Feuer spielen“, „Gläubiger“, „Nach Damaskus“ und „Die Stärkere“ sind in Ansätzen zu erkennen, aktualisiert durch Tinderdates, Pornokunst, Sterbehilfe und Männer, die Babydienst haben, während die Partnerin fremdgeht. Gefühlt sind es ein Dutzend Stücke, die von neun Darstellern in Mehrfachrollen gespielt werden, inklusive Passagen aus dem autobiografischen Roman „Plädoyer eines Irren“ (Martin T. Pesl hat Stones Text ins Deutsche übersetzt).

Bei dieser Geisterbahnfahrt glaubt man, sieben Rosenkriege und mehrere Todesfälle zu erleben – recht viel, selbst für einen langen Abend. Aber immer, wenn die Aufmerksamkeit zu erlahmen droht, lässt sich Stone Aufmunterndes einfallen. Am besten wirkt in diesem Fall Traurig-Komisches, das dann sofort wieder in tiefste Not führt. Die schönste Szene im Finale des zweiten Teils: Caroline Peters und Martin Wuttke, die am Anfang ein Paar bei ausbrechender Krise gespielt haben, leben ein paar Stunden und ein paar Gläser später ihren Konflikt voll aus.

Im falschen Zimmer


Im falschen Zimmer. Es ging bei Charlotte und Alfred zuerst um die Tochter, ihre Pläne als Künstlerin, die von der Mutter gefördert werden, die der Vater nicht mehr länger finanzieren will, um Ehebruch und noch viel gemeinere Arten von Verrat. Inzwischen ist die Endzeit einer Ehe angebrochen. Betrunken kehren die beiden ins Hotel zurück, betreten ungeniert ein fremdes Zimmer und beginnen zu kämpfen. Man glaubt, jetzt werde bald ein Messer gezückt, doch mitten in wildesten Beschimpfungen fragt sie, welchen Wein er trinken wolle, oder warnt ihn en passant, er werde über die heruntergelassene Hose stolpern. Wenn dann noch Roland Koch als Concierge auftaucht und zur Ruhe mahnt, wird die Strindberg-Variation vollends zur Farce.

Koch, der hier vor allem absurde, unheimliche Charaktere spielt, und Peters brillieren in dieser Orgie an Kammerspiel. Wuttke wirkt überragend. Er darf sich am Ende ausleben, als das Hotel zum Irrenhaus mutiert. Diese lange Szene, in der ein Schauspieler, souverän in seinen Ausdrucksmitteln, sich und die Zuseher nach und nach in Strindbergs Wahn versetzt, mit rohester Sprache und schließlich nur noch in elenden Zuckungen, wird wohl für viele lang in Erinnerung bleiben.

Ein Tollhaus ist diese Bühne, die von Alice Babidge beeindruckend ausgestattet wurde: Sie hat tatsächlich drei Stockwerke eines Hotels hingestellt. Man sieht sechs Zimmer und ein Treppenhaus im Querschnitt, nur eine diskrete Glaswand trennt dieses Innenleben vom Zuschauerraum. Selbst die massiv wirkende Konstruktion wird variiert. Im zweiten Teil setzt man das Treiben in höheren Stockwerken fort, im finalen dritten Teil geht es nach unten in die Lobby, darüber befinden sich der Speisesaal und nur noch zwei Zimmer für den Kampf der Geschlechter.

Verstärkung aus Basel

Am Treiben beteiligen sich vier Schauspielerinnen und fünf Schauspieler. Da es eine Koproduktion mit dem Theater Basel ist, sind auch Gäste aus dem Schweizer Ensemble von Andreas Beck dabei, dem Exdirektor des Wiener Schauspielhauses. 2015 hat er beim Antritt in Basel Stone zum Hausregisseur gemacht, er hat zudem aus dem Schauspielhaus u.?a. Franziska Hackl, Barbara Horvath und Simon Zagermann in die Schweiz geholt, die nun wieder als Gäste in Wien ihr großes Können und ihre Wandlungsfähigkeit demonstrieren; Verliebtheit und Melancholie, Gier, Bösartiges und Todessehnsucht – jede Gefühlslage kann hier schlagartig in völlig Konträres wechseln. Die Musik von Bernhard Moshammer bereitet solche Umschwünge ganz diskret, aber passend vor. Aus Basel sind bei dieser Produktion auch noch Max Rothbart und Michael Wächter dabei, meist als junge, bereits beschädigte Männer, die nicht nur zu Selbsthass neigen, sondern auch zu voller Aggression fähig sind.

Vom Ensemble des Burgtheaters bereichert noch Aenne Schwarz diese Aufführung. Als berechnendes Groupie ist sie wirklich zum Fürchten. Sie legt das Lächerliche all dieser Männchen bloß. „Ein Mann hat doch seine Würde verdient!“, heult Alfred am Ende, als er nur noch ein Häufchen Elend ist. Würde? „Why, this hath not a finger's dignity!“ Ein Mann, der in Strindbergs Kopf gerät, hat ganz anderes verdient.

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