Leitartikel

Das neue rote Wir-Gefühl

Michael Ludwig hat den Nerv der Partei getroffen. Nun muss er die Wiener SPÖ einen und beweisen, dass man von der FPÖ mehr Stimmen gewinnen kann, als man grün-rote Wechselwähler verliert.

Manchmal kommt es einfach so wie erwartet. Mit Michael Ludwig hat der Favorit gewonnen. Und zwar mehr als deutlich. Zu verdanken ist das einerseits guter Vorbereitung. Ludwig ist früher als Schieder in den Wahlkampf gestartet, war näher dran am roten Wiener Wahlvolk. Und es hat ihm vielleicht geholfen, dass er eben nicht der Kandidat des Partei-Establishments, also der Stadtregierung und des Bürgermeisters, war. Wahlempfehlungen von oben, auch indirekte, machen aus Genossen Wahlzellenrebellen. Andererseits war diese Wahl aber vor allem eine Richtungsentscheidung: Nach den Häupl-Jahren, in denen interne Widersprüche nonchalant überdeckt wurden, mussten die Genossen diesmal klar eine Frage beantworten: Welches Rezept gegen die FPÖ ist das bessere?

Statt auf Abgrenzung pur zu setzen, will man also versuchen, die Blauen bei ihren eigenen Themenfeldern zu schlagen – Stichwort: Integration, Zuwanderung, Kümmern um die eigenen Leute. Wien-Bonus nennt das Ludwig und meint die Bevorzugung langjähriger Wiener. Man könnte es auch Modell Flächenbezirk nennen. Dabei es geht nicht nur um eine kühle Taktik, um Wähler von den Blauen zurückzuholen. Vielmehr hat Ludwig mit seinem Wir-Gefühl-Motto einen roten Nerv getroffen. Der durchschnittliche Genosse tickt nicht so viel anders als der durchschnittliche Wähler, den die SPÖ im Visier hat. Auch Genossen zwischen Simmering und Floridsdorf wächst Wien zu schnell, auch sie haben das Gefühl, dass man zuerst für die Hiesigen sorgen soll.

Strategisch ist Ludwigs Plan insofern sinnvoll, als es bei der FPÖ theoretisch mehr zu holen gibt. Sie ist zweitstärkste Partei in Wien. Dass man Wähler abjagen kann, hat die Nationalratswahl gezeigt: Die ÖVP konnte mit dem Integrationsthema in den Flächenbezirken punkten, detto die Liste Pilz.

Allerdings: Die Wahl hat auch gezeigt, wo Ludwigs Schwäche liegt. Bis jetzt hat die SPÖ im Wahlkampf-Finish stets die Anti-FPÖ-Turbotaste gedrückt – und so die Grün-Wähler hinter sich versammeln. Das wird Ludwig schwererfallen. Denn will er wirklich FPÖ-Wähler zurückgewinnen, wird er konkrete Politik für sie machen müssen und von links ein Stück nach rechts in Richtung Mitte rutschen. Das wird den Rot/Grün-Wechselwählern in den inneren Bezirken nicht gefallen. Die Frage wird also sein: Kann man aus dem blauen Lager genug dazugewinnen, um die Verluste aus dem rot-grünen Stimmenpool auszugleichen?

Für Kern ist Ludwigs Sieg bitter (er wollte Schieder nicht mehr im Klub). Und auch für Häupl. Nicht nur, weil es die Eitelkeit kränkt, wenn die eigene Präferenz nicht zählt, oder weil manche Weggefährtinnen werden weichen müssen. Sondern, weil Ludwigs FPÖ-Linie ein Bruch mit Häupls Anti-FPÖ-Rezept ist. Die Botschaft der Genossen war: So wie früher funktioniert es nicht mehr. Die nächsten Monate werden freilich mühsam. Ludwig muss die Lager (mit Posten) versöhnen. Gelingt ihm das, werden die Genossen (zähneknirschend) einig sein. Zumindest bis zur Wahl 2020. Erst dann wird die Partei wissen, ob diesen Samstag der Richtige gewonnen hat.

ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2018)

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