Abgas-Versuche an Menschen und Affen haben eine Welle der Empörung ausgelöst. Dabei: Die Stickoxid-Belastungen, denen die Versuchspersonen ausgesetzt waren, lagen deutlich unter den Konzentrationen, wie sie an vielen Arbeitsplätzen in Deutschland auftreten.
Ein Student sitzt an einem Tisch in einem Laborraum, durch die Lüftung wird Stickstoffdioxid hineingeblasen. Es ist eines der unerwünschten Nebenprodukte bei Verbrennungsprozessen, etwa in Dieselmotoren. Insgesamt drei Stunden atmet der Student die Luft mit dem Gas ein, fährt zwischendurch auf einem Fitnessrad. Davor und danach wird sein Atem getestet, sein Blut und auch sein Nasenschleim.
Es handelt sich um das umstrittene Experiment, das Forscher der Uniklinik Aachen gefördert von einem Verein der Autoindustrie durchführten. Tests an Affen oder sogar an Menschen seien "ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen", kritisiert Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Wissenschafter sehen das anders.
Die Stickoxid-Belastungen, denen die Versuchspersonen ausgesetzt waren, lagen "deutlich unter den Konzentrationen, wie sie an vielen Arbeitsplätzen in Deutschland auftreten", erklärt die Uniklinik der RWTH Aachen, als die Welle der Empörung über sie hereinbricht. Die 2016 veröffentlichte Studie sei bereits 2012, also lange vor dem Dieselskandal in Auftrag gegeben worden, und die Ethikkommission der Uniklinik habe den Auftrag damals geprüft und genehmigt.
"Die Hürden für eine Studie am Menschen sind sehr hoch", sagt Claudia Traidl-Hoffmann, Professorin für Umweltmedizin an der Technischen Universität München. Das liege an der ethischen Problematik solcher Forschung: "Menschen werden gezielt vermeintlich giftigen Stoffen ausgesetzt".
Ethikantrag für jede Studie
Die Forscher müssten vor Beginn einer jeden Studie einen Ethikantrag mit sämtlichen Details zur Studie wie etwa dem Maß der geplanten Aussetzung mit vermeintlich giftigen Stoffen oder dem Stresslevel der Versuchspersonen einreichen. "Dieser Antrag wird von einer Kommission geprüft, in der um die 16 Wissenschafter und Ärzte beurteilen, ob das Forschungsvorhaben ethisch einwandfrei ist", sagt die Forscherin. "Erst danach darf eine solche Studie beginnen."
Komplett auf Menschenversuche könne die Forschung nicht verzichten. "Solche Versuche sind wissenschaftlich hochspannend." Sie würden benötigt, um Wirkungsketten und Mechanismen auf molekularer Ebene aufzuzeigen. Allerdings sind solche Experimente in Deutschland eher die Ausnahme denn die Regel: "Ein gewöhnlicheres Vorgehen als Menschenversuche sind Tests, bei denen komplexe Zellsysteme im Reagenzglas bestimmten Wirkstoffen ausgesetzt werden." Dabei stellten sich auch weniger ethische Fragen.
Von der wissenschaftsethischen Seite her waren die Aachener Forscher also auf der sicheren Seite. Ob die Interpretation ihrer Forschungsergebnisse durch den Geldgeber, die Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT), immer sauber war, ist eine andere Frage. Nach Ansicht von Umweltmedizinern handelte es sich bei dem im vergangenen Sommer aufgelösten Verein um eine Lobby-Organisation der Autoindustrie.
"Über die Gefährdung der Bevölkerung durch Dieselabgase sagt der Versuch jedenfalls nichts aus", sagt ein Mediziner aus dem Umweltbundesamt. "Es handelt sich um eine arbeitsmedizinische Untersuchung".
Doch auch für die Arbeitsmedizin ist der Erkenntnisgewinn gering. Die Studie kam nämlich zu dem Ergebnis, dass die kurzzeitige Aussetzung mit niedrigen Werten von NO2 "keine signifikanten Auswirkungen auf die Lungenfunktion" habe. "Uns interessiert aber eher die Langzeitwirkung", sagt dazu die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.
"Keine wissenschaftliche Notwendigkeit"
Der Generalsekretär der Österreichischen Pneumologischen Gesellschaft, Bernd Lamprecht, sieht keine "dringende wissenschaftliche Notwendigkeit" für die in die Kritik geratenen Abgastests mit Lebewesen. Die negativen Auswirkungen seien hinreichend bekannt und es gebe Grenzwerte, die "vernünftig sind", sagte der Wissenschafter im Gespräch mit der APA.
Es sei gut belegt, dass die Stickoxide und insbesondere das Stickstoffdioxid zu Feinstaub und Ozonbildung führen. Erstere würden bis in die Lungenbläschen geraten, dort Entzündungen hervorrufen und Erkrankungen wie COPD und Lungenkrebs verursachen. Dies wären die langfristigen Folgen. Kurzfristig leiden Asthmatiker an den Schadstoffen, immerhin sieben bis zehn Prozent der Menschen.
Lamprecht vermutet andere Beweggründe hinter der Studie, etwa um eine akute Unbedenklichkeit zu zeigen, sprich, dass kein Grenzwert überschritten wird. Problematisch seien aber Langzeiteffekte, die erst nach Jahren sichtbar werden, wie etwa auch beim Rauchen. Dieses sei übrigens ein weitaus größeres Problem als die Dieselabgase. Während den Zigaretten pro Jahr in Österreich weit über 10.000 Menschen zum Opfer fallen, seien es laut einer Untersuchung 150 bis 200 durch Dieselpartikel.
Untersuchungen mit Menschen seien nicht ungewöhnlich. So auch bei einer zuletzt in der Medizin-Fachzeitschrift "The Lancet" veröffentlichten Studie. Dabei ließ man die Probanden in London entweder im Hyde Park oder an der stark befahrenen Oxfordstreet spazieren gehen. "Wenige Stunden reichten aus, um negative Auswirkungen der Abgase auf das Herz-Kreislaufsystem sowie die Lunge nachzuweisen.
(APA/AFP)