Leitartikel

Ein Brückenschlag zu Orbán ist noch keine EU-Strategie

Viktor Orbán und Sebastian Kurz
Viktor Orbán und Sebastian KurzREUTERS
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Kanzler Kurz bot sich beim Plauschbesuch von Ungarns Premier als EU-Brückenbauer an. Das kann helfen. Doch wo bleiben Österreichs europapolitische Anstöße?

Die bisherige Besuchs- und Empfangsdiplomatie von Bundeskanzler Sebastian Kurz folgte einer bewussten Inszenierung. Zunächst reiste er nach Brüssel, Paris und Berlin, um auf die proeuropäische Ausrichtung seiner Regierung hinzuweisen. Erst danach, am vergangenen Dienstag, empfing er den ungarischen Premier, der sich gern gegen den Strom der EU stellt, wenn es ihm innenpolitisch nützt und seine Bedeutung auflädt. Viktor Orbán hätte den neuen Kanzler gern schon früher in Budapest gesehen. Doch so viel Nähe wäre Kurz nicht recht gewesen.

Vor Orbáns Karren will er sich nicht spannen lassen. Als fünftes Rad am Wagen der vier Visegrádländer Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei hat Österreich nichts zu gewinnen. Wer die momentan überbelichtete Migrationsfrage für ein paar Minuten ausblendet, wird feststellen, dass die Interessen ziemlich auseinanderliegen, vor allem, wenn es ums Geld geht: Österreich ist EU-Nettozahler, die V4 sind bis dato auf der Nehmerseite.

Dennoch ist es nicht abwegig, wenn sich Wien vor der EU-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 als Brückenbauer zwischen den ostmitteleuropäischen Ländern und dem Rest der EU anbietet. Im besten Fall kann Österreich dazu beitragen, den Entfremdungsprozess in der Union zu stoppen. Verpflichtende Flüchtlingsverteilungsquoten und dröhnende Drohungen, bei „unsolidarischem Verhalten“ die Fördermittel zu streichen, haben einen Keil in die europäische Familie getrieben. Da wären gescheite gesichtswahrende Kompromisse gefragt.

Vermittler treten nicht als empörte Ankläger auf. Doch bei aller realpolitischen Zurückhaltung ist es übertrieben, einem Gast wie Orbán jeden Anflug eines kritischen Halbsatzes zu ersparen. Der Mann führt in seiner Heimat gerade eine jenseitige Kampagne gegen einen imaginierten, nicht existenten Plan des US-Milliardärs George Soros, Europa mit Migranten zu fluten. Diese bizarre Hetze und die dubiose Drangsalierung von NGOs sollten nicht gänzlich unkommentiert bleiben.


Orbán-Fan. Das wäre umso wichtiger gewesen, als die FP-Führung den Eindruck erweckte, sich bei Orbán anzubiedern. Anstatt den Gast aus Budapest im Vizekanzleramt zu empfangen, pilgerte FP-Chef Heinz-Christian Strache mit Klubobmann Johann Gudenus und Infrastrukturminister Norbert Hofer zu ihm in die ungarische Botschaft. Entgegenkommender noch, nämlich wie ein Fan, gerierte sich Strache bei der Pressekonferenz, als er Orbán attestierte, ein großer „Freund Europas“ zu sein. Das war zu viel der Ehre für einen wie Ungarns Premier, der sich zuletzt eher um die Freundschaft zu Russland und China bemüht hatte. Vielleicht könnte die bisher professionell agierende Außenministerin, Karin Kneissl, ihren Förderern ein kleines Seminar über angemessenes Verhalten auf dem diplomatischen Parkett geben, samt Vorlesung über die Republika Srpska.

Ihre proeuropäische Gesinnung aber sollte die Regierung künftig etwas konkreter zur Geltung bringen als durch geschickte symbolische Prioritätensetzung bei der Reiseplanung. Wo bleiben abseits der Subsidiaritätsrhetorik die Anstöße für die „großen Themen“, welche die EU dem türkis-blauen Regierungsprogramm zufolge erklärtermaßen verstärkt anpacken sollte? Bis Mitte 2018 bleibt nicht mehr viel Zeit.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2018)

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