USA: Ventil für die Volksseele

Mitbestimmung als Korrektiv und als Ausdruck einer vitalen Demokratie.

Arnold Schwarzenegger und seine von Budgetpein geplagten kalifornischen Konsorten muss der Neid über ihre Nachbarn im Norden gepackt haben. In Oregon, einem nicht minder progressiven Bundesstaat, haben die Wähler in einem Referendum neulich für eine Steuererhöhung votiert. Unternehmen und Bezieher von Einkommen über 125.000 Dollar werden stärker zum Aderlass gebeten. Da mochte auch eine Gegenkampagne von Nike-Chef Phil Knight nichts ausrichten.

Das Vorbild Oregons dürfte in US-Staaten mit klammen Kassen Schule machen, etwa in Arizona oder Washington. Nur in Kalifornien hatten sich die Politiker im Vorjahr eine blutige Nase geholt. Um den notorischen Budgetnotstand zu lindern, waren die Bürger per Referendum aufgerufen, über neue Steuern abzustimmen. Sie sprachen sich dezidiert dagegen aus – und gegen eine Anhebung der Abgeordnetendiäten.

Referenden sind in den USA Ausdruck einer vitalen und selbstbewussten Demokratie. Als Korrektiv haben sie bereits Ende des 19. Jahrhunderts Eingang ins Wahlrecht gefunden. Am Wahltag sind die Stimmzettel dicht bedruckt mit lokalen und regionalen Initiativen. In 36 Bundesstaaten standen im November 2008 zugleich mit den Präsidentenwahlen auch 153 Volksabstimmungen auf dem Kalender – über Abtreibung, „Schwulenehe“ oder Englisch als einzige Unterrichtssprache.

Auswüchse an der Westküste

Die Voraussetzungen für ein Referendum sind je nach Bundesstaat spezifisch. 200 Dollar sind in Kalifornien notwendig, um eine Petition einzureichen. Für eine Zulassung bedarf es eines Quorums: der Unterschrift von mindestens sieben Prozent der Wähler, die bei der letzten Gouverneurswahl ihre Stimme abgegeben haben. Eine Besonderheit des Wahlrechts brachte im Übrigen Schwarzenegger 2003 ins Amt – ein „Recall“.

An der Westküste, dem Epizentrum der Mitbestimmung, hat die direkte Demokratie Ventilfunktion für die Volksseele, was mitunter zu Exzessen führt. In Oregon haben sich die Bürger bisher gegen eine eigene Bundessteuer gesperrt. Und in Kalifornien sammeln die Aktivisten eifrig für den Wahlgang im November. Einige wollen einen Verfassungskonvent abhalten, um das politische Chaos im „Golden State“ zu beenden, das in der „Proposition 13“ seinen Ursprung hatte. 1978 plädierten die Kalifornier für eine dramatische Senkung der Grundsteuer. Steuererhöhungen erfordern im Kapitol seither eine Zweidrittelmehrheit.

In der Wahlurne ist insbesondere die „Schwulenehe“ heiß umkämpft. So wie in Kalifornien, wo die Wähler 2008 ein Urteil des dortigen Höchstgerichts aufgehoben hatten, hat jüngst auch Maine der Praxis der Homosexuellenehe ein Ende bereitet. Indes hat der Neuenglandstaat für eine Lockerung des Marihuanakonsums zu medizinischen Zwecken gestimmt. vier

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2010)

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