Missbrauch an Berliner Elite-Schule: Fall weitet sich aus

Blick auf das von Jesuiten betriebene Canisius-Kolleg fotografiert am Donnerstag 28. Januar 2010 in B
Blick auf das von Jesuiten betriebene Canisius-Kolleg fotografiert am Donnerstag 28. Januar 2010 in B(c) APN (Herbert Knosowski)
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Am Canisius-Kolleg in Berlin sollen 22 Schüler von zwei Jesuiten-Patres missbraucht worden sein. Einer der beiden soll sich später auch in Hamburg an Kindern vergangen haben.

Der Missbrauchskandal am jesuitischen Canisius-Kolleg in Berlin weitet sich aus: Am Montag haben sich zwei ehemalige Schüler der Sankt-Ansgar-Schule in Hamburg gemeldet, die Opfer eines Jesuitenpaters geworden sind, der zuvor an der Berliner Schule tätig war. Der Pater hatte laut Erzbistum von 1979 bis 1982 an der ehemaligen Jesuiten-Schule in Hamburg unterrichtet. Er trat 1991 aus dem Orden aus und lebt jetzt in Chile.

Der 65-Jährige wandte sich nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" im Jänner in einem Brief an die Opfer und zeigte Reue. Es sei "eine traurige Tatsache, dass ich jahrelang Kinder und Jugendliche unter pseudopädagogischen Vorwänden missbraucht und misshandelt habe", heißt es in dem Brief.

Auch das Jesuiten-Kolleg in St. Blasien in Baden-Württemberg könnte betroffen sein, wo der Pater in den 80er Jahren unterrichtete. "Ich muss davon ausgehen und gehe davon aus, dass es durch ihn auch am Kolleg St. Blasien Fälle von sexuellem Missbrauch gegeben hat", sagte Direktor Pater Johannes Siebner der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

"Scham" behindert Ermittlungen

Am Canisius-Kolleg in der deutschen Hauptstadt sollen zwischen 1975 und 1982 mindestens 22 Kinder und Jugendliche missbraucht worden sein. Bis Mitte Februar soll dazu ein Untersuchungsbericht erstellt werden.

Die mit der Aufklärung beauftragte Rechtsanwältin Ursula Raue hat bisher Kontakt mit 20 Berliner Opfern aufgenommen. Zudem hat die Juristin auch persönlich mit den mutmaßlichen Tätern gesprochen, zwei ehemaligen Lehrern. Raue berichtete am Montag im Deutschlandfunk, dass die Gespräche mit den Opfern, heute erwachsene Männer, schwierig seien. "Es ist immer wieder diese Scham, dieses Verletzt-worden-Sein, dieses Nicht-darüber-reden-Können, Nicht-reden-dürfen."

Auch die Staatsanwaltschaft untersucht seit vergangener Woche Vorwürfe, wonach zwei Lehrer zwischen 1975 bis Mitte der 80er Jahre Buben sexuell misshandelt haben. Raue äußerte sich auch zu einem Brief, den schon 1981 acht Schüler an die Schulleitung und das bischöfliche Ordinariat geschrieben haben sollen, worauf es keine Antwort gegeben haben soll. Dazu sagte die Anwältin: "Das kann ich mir nicht erklären. Das gehört zu den Dingen, die ich in den nächsten Tagen, in den nächsten Wochen recherchieren werde und herausfinden werde."

Ordensleiter in Berlin

Der Ordensprovinzial der Jesuiten in Deutschland, Stefan Dartmann, will am Montag am Canisius-Kolleg Fragen zum Missbrauchs-Skandal beantworten. Der Pater hatte am Wochenende in einer Erklärung bekanntgegeben, dass er persönlich bereits Ende 2006 von der Schulleitung über "entsprechende Signale Betroffener" informiert wurde. Damals hätten die Opfer jedoch um absolute Diskretion gebeten.

"Das jetzige Hervortreten einiger Opfer macht nun ein Untersuchungsverfahren zur vollständigen Aufklärung der damaligen Missbrauchsfälle möglich und zwingend", erklärte Dartmann. Dem Nachrichtenmagazin "Spiegel" hatte er bestätigt, dass der Orden selbst sogar schon 1991 Kenntnis von den Straftaten hatte. Man habe jetzt die Anwältin Raue mit einer Prüfung der Akten beauftragt, "um festzustellen, was genau die Jesuiten damals wussten und welche Konsequenzen erfolgten". Auch der Vatikan war über die Verfehlungen im Bilde, wie der "Spiegel" weiter berichtet.

Leitlinien konsequenter anwenden

Die Vorgänge werfen auch ein Schlaglicht auf den Umgang der Kirche mit solchen Fällen. Der frühere Rektor, Jesuitenpater Hermann Breulmann, sagte, die 2002 erlassenen "Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch" seien zwar wichtig. Sie müssten aber konsequenter angewandt werden, sagte er im "Tagesspiegel". Die Deutsche Bischofskonferenz zeigte sich "tief betroffen". Die Richtlinien von 2002 seien "unmissverständlich und nach wie vor die Grundlage unseres Handelns", sagte ein Sprecher.

(Ag.)

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