Meditation macht uns kaum moralischer

Psychologen wollen mit einer Metaanalyse von Studien eine Behauptung des Dalai Lama widerlegen.

„Wenn jedem Achtjährigen in der Welt das Meditieren beigebracht wird, dann wird die Welt innerhalb einer Generation gewaltfrei sein.“ Dieser dem Dalai Lama zugeschriebene Satz geistert seit 2012 durchs Internet – und reizt Skeptiker zum Widerspruch. Psychologen um Miguel Farias (Coventry University) ließen sich reizen und sahen sich mehr als 20 Studien über die Auswirkung von Meditation auf soziales Verhalten genauer an (Scientific Reports, 5. 2.). Dabei unterschieden sie fünf Eigenschaften, die angeblich durch Meditation verstärkt oder abgeschwächt werden: Mitleid („compassion“), Einfühlungsvermögen („empathy“), Aggressivität, Verbundenheit mit anderen Lebewesen („connectedness“) und Neigung zu Vorurteilen. Als Meditation werteten sie vom Buddhismus abgeleitete Praktiken wie die Achtsamkeitsmeditation oder die Metta-Meditation („loving kindness meditation“), aber andere fernöstliche Methoden wie Yoga oder Tai-Chi nicht.

Schwache methodische Qualität

Aufgrund von Standardkriterien der Cochrane Collaboration – das ist ein weltweites Netz von Wissenschaftlern und Ärzten zur Erstellung von Übersichtsarbeiten zur Bewertung von Therapien – ergab sich zunächst, dass die methodische Qualität der Studien „im Allgemeinen schwach“ war. Auch konnte nicht bestätigt werden, dass Meditation Aggression senkt, Vorurteile schwächt oder das Gefühl der Verbundenheit erhöht. Bleiben die Kategorien Mitleid und Einfühlungsvermögen. Hier ergab sich zunächst in der Zusammenschau ein positiver Effekt von Meditation, allerdings bei näherer Hinsicht auch ein Zusammenhang zwischen Qualität der Studie und Stärke des Effekts: Je mehr eine Studie wissenschaftlichen Qualitätskriterien entsprach, umso geringer war der Effekt, den sie ergab. So wuchs in manchen Studien das Mitgefühl der Testpersonen nur dann, wenn der Meditationslehrer zugleich einer der Autoren war. Was in ordentlichen Studien überhaupt nicht vorkommen sollte.

Diese ernüchternden Ergebnisse bedeuten natürlich nicht, dass Meditation einem Menschen nicht psychisch helfen kann. Und sie widerlegen nicht die Ansprüche von Buddhisten auf moralischen Wert oder lebensveränderndes Potenzial ihrer Praktiken: Das halten die Psychologen explizit fest. Und man muss der Fairness halber hinzufügen, dass auch die verbreitete These, dass monotheistischer Glaube das moralische Verhalten fördere (und Gottlosigkeit due Unmoral), experimentell bisher nicht zu stützen war. Eher die gegenteilige: So erwiesen sich Kinder aus christlichen und muslimischen Familien als weniger großzügig als Kinder aus unreligiösem Hause.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.