Nordkoreas Sportler schweigen. Aber allein ihre Anwesenheit macht diese Spiele zu einem besonderen Event.
Pyeongchang/Wien. 22 Athleten, 229 Künstler und 200 Cheerleader wurden von Pjöngjang aus dem Norden Koreas zu den Winterspielen nach Pyeongchang in den Süden entsandt. Es spielt ein gemeinsames Dameneishockeyteam. Auch gibt es nordkoreanische Skifahrer, mit ÖSV-Anzügen, oder das Eiskunstlaufpaar Ryom Tae-ok und Kim Ju-sik, das zu dem Beatles-Song „A Day in the Life“ tanzt – und damit die womöglich emotionalste Geschichte dieser Winterspiele schreiben wird.
Nordkorea ist das Gesprächsthema bei den Winterspielen, die heute Mittag beginnen. Athleten statt Raketen, es klingt wie ein Märchen. Oder letztendlich bloß eine zeitlich begrenzte Imagekampagne? Nordkoreas Sportler schweigen eisern zu allen Fragen, sie geben keine Interviews, haben offenbar Sprechverbot. Sie sind selbst in Bussen abgeschottet von der Außenwelt zwischen Unterkunft und Halle unterwegs. Durch die Mixed-Zone der Eishalle von Gangneung laufen sie lächelnd, aber kommentarlos durch.
„Olympische Spiele sind völkerverbindend, in der Zeit der Spiele herrscht Frieden. Bei diesem Fest sind alle Athleten gleich“: Diese Botschaften, mit denen das 1896 von Pierre de Coubertin neu belebte Schauspiel wirbt, klingen hohl, transportieren aber doch einen Funken Wahrheit: Olympias politische Wurzel.
Fünf Beispiele für Politmotive beim Event unter den fünf Ringen:
1 Simpler Regimeschmuck: Berlin 1936 oder Sotschi 2014
Die Sommerspiele im August 1936 in Berlin dienten dem NS-Regime mit Rekorden und Triumphen im Medaillenspiegel als Propagandamittel zur Imagekorrektur im Ausland. US-Leichtathlet Jesse Owens stahl allen die sportliche Show, er gewann viermal Gold.
2014 leistete sich Russlands Präsident, Wladimir Putin, die teuersten Winterspiele aller Zeiten. In Sotschi an der Schwarzmeerküste wurden über 50 Milliarden Dollar eingesetzt. Schwelende Ukraine-Probleme, die Krim-Krise und Homophobie waren in diesem Zeitraum kein Thema. Putin kam auch als Letzter zur Eröffnungsfeier, eine vom IOC geduldete TV-Selbstinszenierung.
2 Bühne für Protest und Parolen: Melbourne 1956, Mexico City 1968
1956 blieben Ägypten, der Irak und der Libanon den Spielen in Melbourne fern, weil sie Israels Rolle in der Suez-Krise kritisierten. Spanien, die Niederlande und die Schweiz verzichteten aus Protest gegen die brutale Niederschlagung des Ungarn-Aufstands durch Sowjettruppen. Nach dem Einmarsch der Sowjets in die Tschechoslowakei wollten 1968 die Skandinavier nicht in Mexico City teilnehmen.
Die US-Leichtathleten Tommie Smith und John Carlos hoben bei der Siegerehrung des 200-Meter-Sprints jeweils eine Faust im schwarzen Handschuh als Protest für Gleichberechtigung (Black Power Salute). Sie waren die ersten Athleten in politischer Mission. Ihr Vorbild damals: Martin Luther King.
Südafrika wurde wegen der Apartheid in den 1960er-Jahren vom IOC ausgeschlossen.
3 Im Zeichen des Terrors: München 1972 und Salt Lake City 2002
1972 in München erschütterte der palästinensische Terroranschlag die Welt. „The games must go on“, verlangte IOC-Präsident Avery Brundage, nachdem elf Geiseln und fünf Attentäter getötet worden waren.
In Salt Lake City fanden 2002 fünf Monate nach den Anschlägen vom 11. September Winterspiele statt. Sie standen im Zeichen des US-Feldzugs in Afghanistan – die vom IOC ausgerufene Waffenruhe wurde von den Streitkräften ignoriert.
4 Boykott von Ost und West: Moskau 1980 und Los Angeles 1984
Die Spiele 1980 in Moskau schrieben als „Boykott-Spiele“ Geschichte. Der Einmarsch der Sowjetarmee in Afghanistan führte zum Fernbleiben der USA und der Arabischen Liga. 1984 folgte in Los Angeles die Retourkutsche des Ostblocks, der fernblieb.
5 Aussöhnung mit Minderheiten: Sydney 2000
Mit der Ernennung von Leichtathletin Cathy Freeman zur letzten Läuferin des Fackellaufs setzte man in Sydney 2000 ein Signal. Sie war damals Australiens größtes Sportidol und zugleich auch populärste Vertreterin der Aborigines. Sie gewann Gold über 400 Meter – und drehte mit der australischen und der Flagge der Aborigines eine Stadionrunde. Damit sollte der Aussöhnungsprozess mit Indigenen forciert werden.
Olympia ist Sport, Party, Business – und mit all diesen Faktoren auch immer Politik. Allerdings immer ohne Erfolgsgarantie.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2018)