Der spektakuläre Sturz des Martin Schulz

In einem Jahr von Freund zu Parteifreund zu Parteifeind. Sigmar Gabriel (l.) stahl als Außenminister Martin Schulz, dem SPD-Chef und Kanzlerkandidaten, zunehmend die Show. Gabriels Verzicht hatte ihn erst dazu gemacht. Jetzt manövrierte ihn Schulz als Außenminister aus – und Gabriel schlug zurück.
In einem Jahr von Freund zu Parteifreund zu Parteifeind. Sigmar Gabriel (l.) stahl als Außenminister Martin Schulz, dem SPD-Chef und Kanzlerkandidaten, zunehmend die Show. Gabriels Verzicht hatte ihn erst dazu gemacht. Jetzt manövrierte ihn Schulz als Außenminister aus – und Gabriel schlug zurück.(c) imago/Jens Jeske (Jens Jeske/www.jens-jeske.de)
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Innerhalb eines Jahres vom Heilsbringer zum Unglücksraben: Der tiefe Fall des Noch-SPD-Chefs ist exemplarisch. Um die Zustimmung zur GroKo nicht zu gefährden, drängte ihn die SPD zum Rückzug als Außenminister.

Die Gerüchte aus Berlin machten auch in Wien bereits die Runde. Während des Interviews mit der „Presse am Sonntag“ sagte Jens Spahn, die Galionsfigur der jungen Generation in der CDU, zur Mittagsstunde: „Martin Schulz wird gerade gemeuchelt.“ Um 14.08 Uhr, eine knappe Stunde später, kam die Eilmeldung über die Nachrichtenagenturen: „Schulz will auf das Amt des Außenministers verzichten.“ Eine Viertelstunde danach erfolgte die offizielle Bestätigung aus dem Willy-Brandt-Haus. Es war das Ende einer turbulenten Woche in der deutschen Hauptstadt und zugleich auch das Ende der politischen Ambitionen des vor einem Jahr parteiintern und medial als „Messias“ und als „Heiliger Martin“ gefeierten Hoffnungsträgers zumindest in Berlin.

Der zum Rückzug getriebene Noch-SPD-Chef – der das Amt nach Ostern an Andrea Nahles abgeben wird – meldete sich in einem dürren Pressestatement aus dem Willy-Brandt-Haus. Seinen Rückzug stellt er als Opfergang zum Wohle der Großen Koalition dar. „Durch die Diskussion um meine Person sehe ich ein erfolgreiches Votum allerdings gefährdet“, schrieb Schulz. „Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung.“ Er hoffe nun „inständig“, dass damit die Personaldebatten innerhalb der SPD beendet seien, die Sigmar Gabriel durch ein Interview am Donnerstag erst angestachelt hatte, in dem er über Illoyalität und Respektlosigkeit in der SPD klagte.

Nach diversen 180-Grad-Manövern, nachdem er eine Regierungsbeteiligung für sich noch vor Weihnachten dezidiert ausgeschlossen hatte, hatte Schulz seine Glaubwürdigkeit vollends verspielt. In der SPD brach eine offene Revolte gegen den Parteivorsitzenden aus – beileibe nicht die erste in der jüngeren SPD-Geschichte, wie Rudolf Scharping, Gerhard Schröder, Franz Müntefering oder Kurt Beck zu spüren bekamen. Die nordrhein-westfälische SPD, sein eigener Landesverband – der weitaus stärkste in Deutschland – hatte ein Ultimatum für einen Rückzug an Schulz gerichtet. Sie hörten die Wehklagen der Mitglieder über Schulz, der plötzlich bereit war, nur zwei Monate nach seiner Wiederwahl das „schönste Amt nach dem Papst“ (Müntefering), also den SPD-Vorsitz, gegen ein Ministeramt einzutauschen.

Ende einer Männerfreundschaft

Es ist der vorläufige Schlussstrich unter das SPD-Kapitel Martin Schulz. „Die Geschichte von Schulz und der SPD war ein großes einjähriges Missverständnis“, gab ein Genosse in Rheinland-Pfalz zu Protokoll. Kein Politiker war in den jüngeren SPD-Annalen binnen so kurzer Zeit höher geflogen und tiefer gefallen als der 62-Jährige, der aus Brüssel nach Berlin wechselte. Beim Parteitag im März 2017 hatte sich die SPD noch berauscht an ihrem vermeintlichen Heilsbringer. Selbst die Jusos, heute scharfe Gegner des Noch-SPD-Chefs, bedruckten Stoffsäcke mit der Aufschrift „Straight Outta Würselen“. In Würselen nahe Aachen war Schulz einst Bürgermeister gewesen. Mit 100 Prozent hievten sie ihn an die Spitze der SPD. Ein solches Ergebnis erreichte nicht einmal Willy Brandt, das politische Idol von Schulz. Am Freitag titelte die „Bild“ spöttisch: „Von 100 auf null“.

Dass Martin Schulz anfangs die Herzen zuflogen, hatte auch damit zu tun, dass er nicht Sigmar Gabriel war. Die Genossen waren zu Jahresbeginn 2017 erleichtert, dass ihr wankelmütiger Chef Gabriel den Platz an der Parteispitze freimachte. Wie sich die Zeiten ändern. Elf Monate später ist Gabriel der beliebteste Politiker des Landes, wie fast noch jeder Außenminister vor ihm.

Gabriel hatte dem EU-Parlamentspräsidenten im Jänner 2017 nach langem Zaudern den Vortritt bei der prestigeträchtigen Kanzlerkandidatur gelassen – und ihm auch gleich den Parteivorsitz angetragen. Der gewiefte Politiker, der seine Partei mit seinen Alleingängen und Bocksprüngen oft genug irritiert hatte, sah für sich selbst keine Chance gegen Angela Merkel – wie zuvor auch schon Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück, zwei hochkarätige Minister unter Merkel und Insidern des Berliner Polit-Betriebs. Ein neuer Mann, ein Außenseiter aus der Brüssel Hochbürokratie, sollte der Kanzlerin den Kampf ansagen – ein einziges Missverständnis, wie sich im Laufe eines langen Wahlkampfs herausstellen sollte.

Gabriel empfand sich als der größere Stratege, und er machte daraus im Wahlkampf auch keinen Hehl. Mit seinen Querschüssen brachte er seinen Parteifreund Schulz zusehends gegen sich auf. Als Außenminister stahl er dem SPD-Spitzenmann zudem die Show. Als Schulz schließlich am Mittwoch nach der Einigung mit der Union das Außenamt für sich reklamierte, warf Gabriel hin, sagte seinen Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz erbost ab – und trat in einem Interview gegen die SPD-Spitze nach. Nach der Schulz-Demontage wird Gabriel nun doch am kommenden Wochenende nach München reisen. Ob er auch Außenminister bleibt, steht in den Sternen. Mit der designierten SPD-Chefin Andrea Nahles verbindet ihn alles andere als ein amikales Verhältnis. Sie hatte als Generalsekretärin unter den Allüren Gabriels gelitten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2018)

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