Justiz ermittelt gegen neue kurdische Parteichefin

Pervin Buldan (links)
Pervin Buldan (links)APA/AFP/ADEM ALTAN
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Die prokurdische HDP hat seit Sonntag eine Führung, da die alte Doppelspitze im Gefängnis sitzt und nächstes Jahr Wahlen anstehen. Die neue Vorsitzende, Pervin Buldan, ist im Visier der Justiz. Der Vorwurf: Terrorpropaganda.

Ankara/Wien. Das Sportstadion in Ankara war rappelvoll, der Parteikongress stand ganz im Zeichen des türkischen Einmarschs in Nordsyrien: „Überall ist Afrin“, hieß es auf einem Transparent. Am Sonntag kam hier die prokurdische HDP zusammen, um ihre neue Parteispitze zu wählen. Kritik an der Operation Olivenzweig, mit der türkische Truppen die kurdischen Milizen in Afrin zurückdrängen wollen, blieb nicht aus.

Pervin Buldan, seit Sonntag neue Ko-Vorsitzende der Partei, lehnte in ihrer Antrittsrede die Operation ebenfalls ab. Einen Tag später haben die türkischen Behörden Ermittlungen gegen Buldan eingeleitet, die Vorwürfe lauten: Terrorpropaganda und Aufwiegelung. Weil im Sportstadion Bilder des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan hingen und weil er von manchen Rednern öffentlich gelobt wurde, sind weitere Ermittlungen nicht unwahrscheinlich. Der regierungsnahen Presse fiel zudem unangenehm auf, dass beim Kongress weder die türkische Nationalhymne gesungen wurde, noch die türkische Flagge hing.

Demirtaş wohl nicht ganz weg

Es war der erst dritte Parteikongress der HDP, die in ihrer nunmehr achtjährigen Lebenszeit die politische Landschaft in der Türkei grundlegend verändert hat. Sie ist die erste prokurdische Partei im Parlament. Nach dem Zerfall des Friedensprozesses vor zwei Jahren, ließen die Behörden nicht nur Dutzende gewählte HDP-Bürgermeister absetzen, sondern auch etliche Abgeordnete sowie die Doppelspitze, Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, festnehmen.

Ihre Nachfolge wurde am Sonntag beschlossen, denn 2019 steht in der Türkei ein Superwahljahr an, und die Partei braucht eine Führung auf dem Feld, nicht im Gefängnis.

Demirtaş, der charismatische Führer, ließ eine Grußbotschaft im Ankaraner Sportstadion verlesen. Da der Erfolg der HDP unmittelbar mit seiner Person zusammenhängt, wird er sich nicht vollständig zurückziehen. Er gab zwar an, nicht mehr kandidieren zu wollen, wolle der Partei aber weiterhin zur Verfügung stehen.Sonst fügt sich die neue Doppelspitze der alten Konstellation an: Ein Mann und eine Frau, eine Kurdin (Pervin Buldan) und ein Nichtkurde, der die städtische, linke und intellektuelle Wählerschaft ansprechen soll. Diese Rolle wird der Ökonomieprofessor Sezai Temelli aus Istanbul einnehmen. Er ist einer von Tausenden Akademikern, der nach dem Putschversuch per Notstandsdekret seine Stelle verloren hat.

Buldan stammt aus der Kurdenregion und war vor ihrem Eintritt in die Politik zivilgesellschaftlich aktiv. Ihr Mann wurde in den 1990ern entführt, gefoltert und ermordet; Tausende solcher Fälle seit den schwierigen 1970er-Jahren sind in der Türkei noch nicht aufgearbeitet worden. Gegen die neue Ko-Vorsitzende wurde früher schon ermittelt, weil sie PKK-Führer Öcalan in Reden gelobt hatte.

Die HDP steht landesweit unter Druck. Seit Beginn der Operation Olivenzweig Mitte Jänner – sie ist gegen die YPG gerichtet, die als syrische Schwesterorganisation der PKK gilt – sind mehrere Hundert Parteimitglieder und -anhänger festgenommen worden, oder es wird gegen sie ermittelt, weil sie sich gegen den Militäreinsatz gestellt haben. Vom Dunstkreis der bewaffneten, verbotenen PKK konnte sich die HDP bisher nicht wirklich lösen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2018)

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