„Herminator“: Ein Sturz für die Ewigkeit als Geburtsstunde

Hermann Maier.
Hermann Maier.APA/EXPA/JOHANN GRODER
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Am 13. Februar 1998 schockte Hermann Maier mit seinem Sturz in der Olympiaabfahrt von Nagano. Drei Tage später gewann er Gold.

Für Zeitzeugen sind die Bilder im Kopf immer präsent, obwohl sie 20 Jahre zurückliegen. Manches ist eben so einschneidend und emotionalisierend, dass man es nie vergisst. Es geschah bei den Olympischen Spielen 1998 in Nagano. Am Freitag, den 13. Februar, fand nach mehreren witterungsbedingten Verschiebungen die Abfahrt der Herren statt. Hermann Maier galt als hoher Favorit, hatte zuvor in Bormio und Wengen gewonnen, in Fernost wollte sich der Salzburger den Traum von Olympiagold erfüllen. Nach 18 Fahrsekunden schien dieser Traum weit entfernt. An einer Kuppe zerschellten alle Visionen, Maier hob ab, flog, schlug Purzelbäume bei der Landung und über alle Fangzäune hinaus, landete im Tiefschnee – und stapfte kurz darauf ungläubig davon.

In Österreichs Wohnzimmern herrschte Atemnot, so wie auch bei Alpindirektor Hans Pum, der den Abflug aus nächster Nähe am Gegenhang sah. „Er hat eine viel zu enge Linie genommen, hat voll riskiert.“ Die ersten Gedanken? „Ich habe an das Allerschlimmste gedacht“, erzählt Pum der „Presse“. Schließlich hat er schon einiges an Schrecklichkeiten erlebt. Wie den tödlichen Sturz von Gernot Reinstadler in Wengen 1991. „Ihn hab' ich in Händen gehalten. Auch bei Hermanns Sturz gingen mir viele Sachen durch den Kopf . . .“

Russi: „Der steht den Sturz“

Maier segelte 40 Meter durch die Luft und war letztendlich glücklich im Tiefschnee gelandet. In den Tagen zuvor hatte es in Japan stark geschneit, der Schnee diente als Dämpfer, vielleicht als Lebensretter. „Der viele Schnee, das war sein großes Glück“, sagt Bernhard Russi, ebenfalls ein Augenzeuge. Der Schweizer hatte sich 100 Meter unterhalb der Kuppe platziert, dort, wo das Unglück seinen Anfang nahm. „Ich habe ihn fliegen gesehen. Und wissen Sie was? Ich dachte, er steht diesen Sturz.“

Das mag absurd klingen, aber Maiers Körperspannung und die Entschlossenheit in seinen Augen hatten Russi zu diesem Glauben veranlasst. „Er hat in der Luft zum nächsten Tor geschaut! Nicht dorthin, wo der Sturz enden könnte.“ Eine These, die Maier später bestätigte: „Ich dachte, ich komm ein bisserl schräg daher und werde ein wenig die Linie verlieren. Aber wenn ich dann aufkomme, dann fahre ich das Tor halt von weiter hinten.“

Maier konnte den Sturz freilich nicht stehen, im Tiefschnee kniend gab er per Handzeichen erste Entwarnung. Doch sein Körper, von Prellungen und Blutergüssen übersät, schmerzte. Am allermeisten aber das Knie. Schon am Folgetag hätte der Super-G stattfinden sollen, sein Start galt als ausgeschlossen. Pum machte sich am Nachmittag im Hotelzimmer selbst ein Bild vom Gesundheitszustand des damals 25-Jährigen, fragte ihn, ob er denn glaube, am nächsten Tag rennfähig zu sein. „Hermann hat gesagt: ,Das schaff ich schon.‘ Dabei konnte er nicht einmal richtig aus dem Bett aufstehen.“

Die ÖSV-Führungsriege befand sich zu diesem Zeitpunkt in einem Dilemma, weil unklar war, ob Maier tatsächlich ins Rennen geschickt werden konnte, seine Physis es überhaupt zuließ. „Wir hatten ein unglaublich starkes Team, mit Pepi Strobl einen hochklassigen Ersatzmann.“ Nebel verhinderte sowohl am 14. als auch am 15. Februar die Durchführung des Super-G, so blieb Maier mehr Zeit zur Erholung. Pum: „Dass er aber nur drei Tage nach diesem Sturz wirklich Gold gewinnt, daran habe ich am Tag der Abfahrt keine Sekunde gedacht. Das war die Geburtsstunde des Herminator.“

Dass Maier, getrieben von der Aussicht auf Erfolg, tatsächlich siegte, galt auch als Beleg dafür, „wie er körperlich und mental beinander war. Er wollte das unbedingt.“ Das zweite Gold im Riesentorlauf machte das märchenhafte Comeback perfekt, die Geschichte des „Herminator“ ging um die Welt – sein Mythos war geboren.

Er betrat damit in vielerlei Hinsicht Neuland. Der gelernte Maurer aus Flachau definierte die Trainingsarbeit neu, griff unter der Regie von Fitnessguru Heini Bergmüller zu außergewöhnlichen Methoden, absolvierte Umfänge, die seine Konkurrenten für undenkbar hielten. „Maier“, sagt Pum, „war in vielerlei Hinsicht ein Pionier.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2018)

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