Scholz statt Schulz: Nahles in der Warteschleife

Nahles and Scholz of Social Democratic Party (SPD) make a statement at the party headquarters in Berlin
Nahles and Scholz of Social Democratic Party (SPD) make a statement at the party headquarters in BerlinREUTERS
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Die 47-jährige Fraktionschefin muss sich noch gedulden – bis zum Parteitag am 22. April: Nicht sie, sondern Scholz führt nun nach dem Rücktritt von Schulz die Partei kommissarisch.

Wien/Berlin. Die SPD scheint in diesen Tagen „Murphys Gesetz“ zu gehorchen: „Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.“ Am Dienstag sollte Andrea Nahles den Parteivorsitz kommissarisch übernehmen. Doch es gab Widerstände, juristische Einwände und dann die nächste Überraschung. Auf Martin Schulz folgt kommissarisch Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, nicht Nahles. Die 47-Jährige muss sich noch bis zum 22. April gedulden. Dann soll sie auf einem Parteitag in Wiesbaden, Hessen, zur ersten Frau an der SPD-Spitze gewählt werden. Der SPD-Vorstand hat sie am Dienstag einstimmig nominiert.
Schulz indes hat alles verloren: die Aussicht auf das Außenministerium, gestern dann offiziell den SPD-Vorsitz. Am Dienstag um 18.36 Uhr verkündete er im Atrium des Willy-Brandt-Hauses seinen Rücktritt. Die Zeit heile alle Wunden, sagt er Es sind letzte fünf Minuten im Scheinwerferlicht der SPD-Zentrale. Dann geht der 62-Jährige, fortan nur noch einfacher Bundestagsabgeordneter. 331 Tage währte die Ära Schulz.

Chaostage in der SPD

Schulz' schon vor Tagen angekündigter Rücktritt sollte genau wie sein Verzicht auf das Außenministerium die zerrissene und in Umfragen auf 16,5 Prozent abgestürzte SPD beruhigen. Eigentlich. Doch kurz darauf entzündete sich der Unmut an Nahles. Das ist bemerkenswert. Auf dem jüngsten Parteitag flogen der 47-Jährigen noch die Herzen zu, auch deshalb, weil ihre leidenschaftliche Rede ein Gegenentwurf zum kraftlosen Schulz-Auftritt war.

Dass Nahles schon vor ihrer Wahl die SPD interimistisch führen sollte, roch einigen Landesverbänden nach Klüngelei, nach einer unsauberen Vorentscheidung. Protest gab es etwa in Sachsen-Anhalt, Berlin und Schleswig-Holstein. Also übernimmt Scholz, der dienstälteste der sechs SPD-Vize. Er sprach von einer vorübergehenden, „dienenden Funktion“.
Nahles bläst auch Gegenwind aus dem hohen Norden entgegen, aus Flensburg an der dänischen Grenze: Die SPD-Oberbürgermeisterin Simone Lange kündigte ihre Kandidatur für das SPD-Spitzenamt an.

Bundesweit ist die ehemalige Kripo-Beamtin ein unbeschriebenes Blatt – und daher wohl ohne Chance auf den Parteivorsitz. Mit ihrer Kandidatur will sie aber Nachahmer inspirieren. Eine Kür ohne Gegenkandidaten sei kein Zeichen für Erneuerung, so das Credo der 41-Jährigen. Wobei die SPD, im Vergleich zur CDU, basisdemokratische Züge trägt. Seit März 2017 gab es vier Parteitage. Die CDU veranstaltete im selben Zeitraum null. Und nun legen die Genossen ihren rund 460.000 Mitgliedern den Koalitionsvertrag zur Abstimmung vor. Von der Nordseeküste bis nach Bayern diskutieren Genossen in den Ortsvereinen, wie sie es mit einer dritten Großen Koalition unter Merkel halten.

Nahles rechnet mit einem Ja. „Das geht nicht in die Hose“, erklärte sie gestern mit krächzender Stimme. Die Rheinland-Pfälzerin war schwer erkältet. Anders als Merkel will die SPD-Führung ihren Mitgliedern übrigens nicht verraten, wen sie an die Spitze der Ministerien hieven will. Das schaffe nur böses Blut und lenke von den Inhalten ab, heißt es. Wobei das Schweigen die Spekulationen naturgemäß erst recht anheizt.

Barley als Außenministerin?

Scholz scheint als Finanzminister gesetzt. Drei von sechs Ministerien müssen an Frauen gehen. Katarina Barley, Barbara Hendricks und Eva Högl sind die Auserwählten. Hendricks (65) könnte Umwelt- und Barley (49) Familienministerin bleiben. Wobei die umgängliche Barley der „Joker“ in der Personalplanung sein dürfte. Als Juristin könnte sie auch das Justizressort führen. Die Tochter eines britischen Journalistin könnte jedoch auch die erste Außenministerin der Republik werden. Ihr Name fällt immer häufiger.

Oder bleibt doch Gabriel? Der Außenminister lieferte seinen Gegnern allerdings eine Steilvorlage, als er Schulz in einem Interview mit einem Zitat seiner Tochter beleidigte – „der Mann mit den Haaren im Gesicht“. Das kam schlecht an. Zwar ließ Gabriel streuen, dass ihm der Satz leid tue. Aber im Willy-Brandt-Haus hielt man das für ein durchsichtiges Manöver, mit dem er sich wieder ins Spiel bringen wolle. Das Problem des Ex-SPD-Chefs geht jedoch tiefer: Nahles hatte einst als Generalsekretärin unter Gabriels Sprunghaftigkeit gelitten. Scholz soll es nicht viel anders ergangen sein.

Dass Gabriel trotzdem Chancen eingeräumt werden, hat damit zu tun, dass ihn die Deutschen schätzen, jedenfalls mehr, als das die eigene Partei tut. Gabriel hatte eben viel Zeit, Porzellan zu zerschlagen. Sieben Jahre war er SPD-Chef. Das ist sehr lang.

Seit der Jahrtausendwende hat die Partei sieben Vorsitzende verschlissen, während an der CDU-Spitze in dieser Zeit immer nur eine saß: Merkel. Nun drängt Nahles auf den roten Schleuderstuhl.

("Die Presse", Printausgabe vom 14.02.2018)

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