Gastkommentar

Brauchen Digital- und keinen Heimatminister!

Deutschland bekommt mit Horst Seehofer künftig einen Heimatminister. Ziemlich rückwärtsgewandt: Denn das Feld, das alle angeht, ist das Digitale: Werden uns Roboter und Algorithmen an unseren Arbeitsplätzen ersetzen?

Die Deutschen sind ein glückliches Volk: Sie bekommen ein Heimatministerium. Geführt werden soll es von Horst Seehofer, dem Parteichef der CSU. Heimat wird der neue Bereich des Innenministeriums, das der Bajuware für sich und seine Partei bei den Koalitionsverhandlungen mit den Sozialdemokraten herausgehandelt hat.

Die Ergänzung um die Heimat ist der Versuch der bayerischen Christsozialen, der rechtsgerichteten sogenannten Alternative für Deutschland (AfD) die Wählerinnen und Wähler auszuspannen. Die AfD hatte in der Bundestagswahl im September 12,6 Prozent der Stimmen geholt und sich damit, nach vorangegangenen Erfolgen bei Landtagswahlen, in der bundesdeutschen innenpolitischen Landschaft endgültig rechts neben der CSU positioniert.

Fischen am rechten Rand

Im Freistaat wird in diesem Herbst ein neuer Landtag gewählt, das dürfte den Gang Seehofers und der Christsozialen zurück zum Altbewährten erklären. Bereits im Jänner hat der CSU-Politiker Alexander Dobrindt mit einer Initiative Punkte zu machen versucht, als er eine konservative Revolution der Bürgerlichen gegen den vermeintlichen linken Mainstream des Landes vom Zaun brechen wollte.

Die Analyse war und ist indessen falsch: Deutschland ist ein konservatives Land. Nicht nur haben die Unionsparteien auf Bundesebene länger regiert als die Sozialdemokraten, in Fragen des Asylrechts und der Zuwanderung denken die beiden Volksparteien auch recht ähnlich.

Mit der Strategie, am rechten Rand zu fischen, hat die CSU bei der Bundestagswahl im vergangenen September allerdings elf satte Prozent verloren. Es steht in den Sternen, ob Horst Seehofer von Berlin aus seiner Partei wird helfen können, das Ruder herumzureißen und die Stimmung im Wahlvolk für sich zu drehen, nur weil der Name des Innenministeriums nun um den Begriff Heimat ergänzt wird.

Sicher ist bisher nur der Spott, mit dem die Konservativen für ihre „Verhandlungserfolge“ in den Koalitionsgesprächen überzogen werden. Spott, in den sich in der Hauptstadt und seiner Start-up-Industrie Bitterkeit mischt: Anstelle eines Heimatministers hätten sich viele der Digitalakteure der Berliner Republik einen Digitalminister gewünscht.

Deutschland mag viele einzelne gute Ideen zum Thema digitale Zukunft haben. Sie werden aber zwischen den verschiedenen Ressorts mit ihren widerstrebenden Interessen und profilierungswilligen Ministerialpersönlichkeiten aufgerieben. Schon lange waberte daher die Idee umher, alle Projekte vom Breitbandausbau bis zur Netzneutralität bei einer Person zu bündeln. Diskutiert wurde unter anderem ein Staatsminister im Kanzlerinnenamt. Dort ist bereits die Integration als ein herausragendes Thema angesiedelt worden. Die Sichtbarkeit in der Zentrale der Exekutive soll die Wichtigkeit vermitteln.

Petition für Digitalminister

Eingang in die vergangene Woche erzielte Koalitionsvereinbarung, die noch auf den Segen der SPD-Mitglieder wartet, die darüber abstimmen werden, ob ihre Partei in eine dritte Große Koalition mit Angela Merkel eintreten darf, hat diese Forderung nicht gefunden. Der Vorsitzende des Bundesverbands deutscher Start-ups, Florian Noell, selbst CDU-Mitglied, hat in seiner Verzweiflung nun eine Petition für einen Digitalminister gestartet, um bei den möglichen Koalitionären noch einmal Druck aufzubauen.

Da das Personaltableau am Ende der Sozialdemokraten durch den Abtritt ihres Spitzenkandidaten, Martin Schulz, beachtlich ins Wanken geraten ist, erhoffen sich Noell und mit ihm die deutsche Digitalindustrie, dass vielleicht am Ende doch noch etwas zu machen sein wird.

Stattdessen aber Heimat: Gegen sie ist nichts einzuwenden. Aber kann sie von Staats wegen definiert, gefördert und verwaltet werden? Daran bestehen berechtigterweise große Zweifel: Die 16 Bundesländer haben verschiedene Kulturen, Eigenarten, Dialekte. Wird der Bundesinnenminister sich nun der Förderung dieser Vielfalt widmen, oder ist der Ruf „Heimat!“ gegen die Zuwanderung im Allgemeinen und gegen moslemische Neuankömmlinge im Besonderen gerichtet? Schon seit mehr als 15 Jahren laboriert Deutschland dabei an der Frage, was eigentlich seine Identität sei.

Vergangenes gegen Zukunft

Bisher ist dabei allerdings nichts Konsensfähiges herausgekommen – vielleicht, weil es in dem Land, dessen Namen in den romanischen Sprachen mit „Alle Männer“ übersetzt wird, nicht nur eine einzige, eine Leitkultur gibt? Für die Völker jenseits des germanischen Stammengewirrs waren die Teutonen jedenfalls verschieden und hatten dennoch Gemeinsames, daher „Alle Männer“. Man könnte es also bei dieser Vielfalt be- und die Heimaten der Bundesrepublik ihrem eigenen Gedeihen überlassen.

Das Digitale aber ist ein Feld, das alle angehen wird: Was werden wir in Zukunft tun? Werden Roboter und Algorithmen unsere Arbeitsplätze zerstören? Wie gehen wir mit den Möglichkeiten digitaler Überwachung um? Bleibt die Demokratie wehrhaft gegen die Versuchung, einen Orwell'schen Staat zu bauen, wie ihn die Volksrepublik China ihren Untertanen angedeihen lassen will? Heimat gegen Digitales, Vergangenes gegen Zukunft. Die Selbstzweifel, mit denen sich die politische Klasse der größten Volkswirtschaft Europas, plagt, müssen, im fünften Monat nach der Bundestagswahl, auch außerhalb Deutschlands für Beunruhigung sorgen.

Frankreich macht es vor

Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, jedenfalls hat die Zurückhaltung der östlichen Nachbarn erkannt und seinerseits Frankreich als Start-up-Nation ausgerufen. In Paris ist man zudem darauf bedacht, möglichst viele von denen, die aus dem ebenfalls an starken Identitätsbeschwerden leidenden Brexit-England auf den Kontinent strömen, eine neue, selbstsichere Heimat zu geben. Heimat ist eben nicht nur gestern, sondern auch morgen.

Deutschlands Identität, so viel steht fest, ist maßgeblich von der protestantischen Arbeitsethik geprägt. Aber auch die Päpste haben mit Gedanken zur sozialen und zur Arbeiterfrage in ihren Enzykliken den industriellen Aufstieg des Industriezeitalters begleitet. Arbeit ist hernach untrennbar verbunden mit der Würde der Person und ihrer Identität.

Wie soll eine Wirtschaftsnation dieses Narrativ behalten angesichts künstlicher Intelligenz und lernender Maschinen? Das ist nur eine der Fragen, mit denen sich ein Digitalminister betrauen sollte. Damit das Land auch morgen noch eine prosperierende und attraktive Heimat sein kann.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Alexander Görlach
(geb. 1976 in Ludwigshafen) war Gründer und Chefredakteur des Debattenmagazins „The European“. Seit 2017 ist er Affiliate Professor am Harvard University College, Adams House, im „In Defense of Democracy”-Programm der F. D. Roosevelt Stiftung und Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs. Görlach ist unter anderem Gastkommentator für die“ New York Times“. [ David Elmes, Harvard University ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2018)

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