Deniz Yücel ist frei - Anklage wegen "Propaganda für eine Terrororganisation"

Das Bild von Deniz Yücel nach seiner Freilassung veröffentlichte sein Anwalt Veysel Ok auf Twitter.
Das Bild von Deniz Yücel nach seiner Freilassung veröffentlichte sein Anwalt Veysel Ok auf Twitter.(c) Twitter/Yeysel Ok
  • Drucken

Nach einem Jahr in Haft erhebt ein türkisches Gericht Anklage gegen den deutsch-türkischen Journalisten und nennt acht "Welt"-Artikel als Beweis. Yücel kommt für die Dauer des Verfahrens frei.

Genau am Mittwoch vor einem Jahr, am 14. Februar 2017, war der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel in Istanbul festgenommen worden. Seitdem saß der Korrespondent der deutschen Zeitung "Die Welt" wegen Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnete ihn als "Vertreter der (verbotenen kurdischen Arbeiterpartei) PKK" und als "deutschen Agenten". Eine formelle Anklage gab es bisher nicht.

Das hat sich nun geändert: Nach Angaben seines Anwalt Veysel Ok verfügte ein Gericht in Istanbul am Freitag seine Freilassung für die Dauer des Verfahrens. Eine Ausreisesperre wurde der "Welt" zufolge nicht verhängt. Yücel hat das Gefängnis bereits verlassen, wie ein Bild zeigt, dass sein Anwalt auf Twitter teilte. Die Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, in der vom Gericht akzeptierten Anklageschrift fordere der Staatsanwalt bis zu 18 Jahre Haft.

Das 32. Strafgericht in Istanbul hat die nur drei Seiten umfassende Anklageschrift angenommen, die mit dem 13. Februar datiert ist. In der Anklageschrift, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, wird Yücel "Propaganda für eine Terrororganisation" und "Aufstachelung des Volkes zu Hass und Feindseligkeit" vorgeworfen. Yücel habe "einige Artikel in deutscher Sprache verfasst, die eine Straftat darstellen". Im Rahmen der Ermittlungen seien seine Texte übersetzt worden.

Bei den Terrororganisationen, um die es laut Anklage geht, handelt es sich um die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und um die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen. Die Regierung macht die Gülen-Bewegung für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich.

Acht "Welt"-Artikel in Anklage genannt

In der Anklageschrift werden acht Artikel, die der Korrespondent zwischen dem 19. Juni 2016 und dem 12. Dezember 2016 in der "Welt" veröffentlicht hat, als Belege für die Anschuldigungen aufgeführt. Die Staatsanwaltschaft wirft Yücel in dem Zusammenhang unter anderem vor, er habe Operationen der Sicherheitskräfte gegen die PKK als "ethnische Säuberung" bezeichnet. In einem Interview mit PKK-Kommandant Cemil Bayik habe Yücel versucht, die PKK als "legitime und politische Organisation" darzustellen.

Im Zusammenhang mit der Gülen-Bewegung wirft die Staatsanwaltschaft Yücel unter anderem vor, in einem seiner Artikel sei über einem Foto von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan "Putschist" gestanden. Den Vorwurf der "Aufstachelung des Volkes zu Hass und Feindseligkeit" begründet die Anklage unter anderem damit, dass Yücel von einem "Genozid an den Armeniern" geschrieben habe. Außerdem dient als Beleg ein Witz über Kurden und Türken aus einem Artikel.

Als Beweismittel für Yücels Verbindungen zu Terrororganisationen führt die Staatsanwaltschaft ein von Fethullah Gülen verfasstes Buch an, die die Polizei bei einer Hausdurchsuchung sichergestellt habe. Außerdem dient der Anklage nach Auswertung von seinen Telefondaten als Beleg, dass Yücel zwischen 2014 und 2017 mit 59 verschiedenen Personen telefoniert habe, die nach Einschätzung der Polizei Mitglieder der PKK seien oder mit ihr in Verbindung stünden.

Jubel über Freilassung

Die Bundesregierung bestätigte die Freilassung Yücels, die ein wichtiger Schritt für die Verbesserung der schwer belasteten Beziehungen sei. Außenminister Sigmar Gabriel erklärte: "Das ist ein guter Tag für uns alle." Er danke der Regierung in Ankara für die Unterstützung bei der Beschleunigung des Verfahrens. "Endlich! Beste Nachricht, wo gibt!", twitterte Justizminister Heiko Maas. Dem Auswärtigen Amt zufolge gab es keinen "Deal".

Die Freilassung des 44-Jährigen war für die deutsche Regierung eine Voraussetzung für die Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden Ländern. Vor dem Besuch des türkischen Regierungschefs Binali Yildirim bei der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag kam Bewegung in den Fall. Es sei Zeit „eine neue Seite aufzuschlagen“, kündigte der Premier an. Doch: Die Entscheidung liege bei der unabhängigen Justiz.

Dass die türkische Regierung die Krise mit Berlin beilegen wollte, hat vor allem wirtschaftliche Gründe: Deutschland ist der größte Abnehmer türkischer Exporte; die etwa 7000 deutschen Unternehmen in der Türkei haben dort rund 60.000 Arbeitsplätze geschaffen. Bis Berlin die Reisehinweise für das in Deutschland beliebte Urlauberland verschärfte, war die Türkei auch ein erster Anlaufpunkt für deutsche Touristen.

>>> Kommentar von Duygu Özkan: "Ein Beweis dafür, dass der Fall Yücel politisch ist."

Es geht auch um Rüstungsgüter

Zugleich geht es der Türkei aber auch um Rüstungsgüter aus deutscher Produktion. Es sind noch fünf deutsche Bürger aus politischen Gründen in der Türkei inhaftiert. Die Zahl dieser Gefangenen - die der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel einst mit "Geiseln" verglich - war im vergangenen Sommer noch deutlich höher, mehrere wurden seitdem auf freien Fuß gesetzt. Zu den prominentesten Fällen gehörte der Menschenrechtler Peter Steudtner, der Ende Oktober nach Vermittlung durch Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder bei Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan aus der U-Haft entlassen wurde und ausreisen durfte.

Ebenfalls im Oktober hatte die Regierung nach einem "Spiegel"-Bericht eine Vorgenehmigung für die Modernisierung von 120 türkischen M60-Kampfpanzern aus US-Produktion erteilt, die zum Schutz vor Minen und Sprengfallen nachgerüstet werden sollen. Im Juli - zum Höhepunkt der Krise mit Ankara - hatte die deutsche Regierung verkündet, es kämen "alle Anträge für Rüstungsexporte auf den Prüfstand". Ob die Vorgenehmigung und die Freilassung Steudtners nur zufällig auf denselben Monat fielen, ist nicht bekannt.

Kein Geheimnis ist, dass sich Ankara auch eine Nachrüstung der deutschen "Leopard"-Panzer in der türkischen Armee wünscht, jetzt wo die Türkei eine Offensive gegen Kurden in Syrien gestartet hat. Deniz Yücel hat deutlich gemacht, dass er nicht im Gegenzug für ein Rüstungsgeschäft oder durch andere Tauschhandel freikommen möchte. "Für schmutzige Deals stehe ich nicht zur Verfügung", betonte der 44-Jährige im vergangenen Monat. Er fügte hinzu, er wolle seine Freiheit nicht "mit Panzergeschäften von Rheinmetall oder dem Treiben irgendwelcher anderen Waffenbrüder befleckt wissen".

(APA/dpa/red.)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.