Verschärft das AMS den Lehrlingsmangel?

Die Presse
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Um 150 Millionen Euro im Jahr werden Lehrlinge außerhalb von Betrieben ausgebildet. Den Unternehmen wiederum fehlt der Nachwuchs. Die Regierung will die AMS-Projekte zurückfahren.

Wien. Die Zahl der 15-Jährigen ist für die Wirtschaft eine wichtige Kennzahl. Schwindet sie, werden auch die potenziellen Fachkräfte weniger. Heute gibt es fast 10.000 weniger 15-Jährige als vor 20 Jahren. „Wir befinden uns in einem demografischen Tal“, sagt Johannes Kopf, Chef des Arbeitsmarktservice. Und da sind die Jungen eine knappe Ressource. Trotzdem haben im Vorjahr erstmals seit zehn Jahren deutlich mehr Junge eine Lehre begonnen als 2016.

Aber immer noch zu wenig, um den Bedarf in den Betrieben zu decken. Schuld daran sei auch die überbetriebliche Ausbildung, findet die Wirtschaft. Dort werden Jugendliche ausgebildet, die keine richtige Lehrstelle finden. Letztes Jahr waren das 12.310. Das sei zu viel. „Ein Drittel dieser Jugendlichen könnte in einem Betrieb arbeiten“, sagt Alfred Freundlinger, Bildungsexperte in der Wirtschaftskammer Österreich.
Die überbetriebliche Ausbildung sei durchaus sinnvoll. Er sieht die öffentliche Hand aber auch als Konkurrenz für die Betriebe. „Viele Lehrstellen können nicht besetzt werden. Es ist gut, wenn die Jugendlichen in den Lehrwerkstätten auf einen Job vorbereitet werden. Wovon wir nichts halten, ist eine komplette Ersatzausbildung.“

Auch die Regierung hat sich des Themas angenommen. Sie will die überbetriebliche Ausbildung „auf das zwingend notwendige Ausmaß“ reduzieren, heißt es im Regierungsprogramm. Das Geld soll stärker zu den Betrieben umgeschichtet werden. Das Programm deckt sich mit den Forderungen der Wirtschaftskammer. Freundlinger nennt Beispiele wie dieses: Ein Jugendlicher soll eine Lehrstelle abgelehnt haben, weil er es zur Lehrwerkstatt näher gehabt habe. Da könne er länger schlafen. „Es sollte nicht so sein, dass ich mir das aussuchen kann.“

„Können sie ja abwerben“

Kann man auch nicht, heißt es aus dem Arbeitsmarktservice. „Diese Jugendlichen werden von den Unternehmen nicht genommen. Sonst hätten sie das Problem ja nicht“, sagt Sprecherin Beate Sprenger. In Österreich gibt es eine Ausbildungspflicht für Unter-18-Jährige – die Regierung will sie evaluieren. Mit der überbetrieblichen Ausbildung setze das AMS die Ausbildungspflicht um.
Diese Lehrstellen würden an den Bedarf angepasst: je nachdem, wie viele Plätze die Betriebe schaffen, wie viele 15-Jährige es gibt und wie die Wirtschaft läuft. Deshalb gibt es heuer mit 8000 um ein Drittel weniger überbetriebliche Plätze als im Vorjahr. „Das ist ja kein Selbstzweck“, so Sprenger.

Die öffentliche Hand finanziert das mit 150 Millionen Euro im Jahr. Laut WKO kostet ein Lehrling im Betrieb die Steuerzahler jährlich 6276 Euro. In der überbetrieblichen Lehre seien es 16.130 Euro.

Gernot Mitter ist Arbeitsmarktexperte in der Arbeiterkammer Wien. Er kann weder mit der Kritik der Wirtschaftskammer noch mit den Plänen der Regierung viel anfangen. „Die Betriebe brauchen die Lehrlinge ja nur zu beschäftigen. Sie können jederzeit in den Lehrwerkstätten anklopfen und sie abwerben. So lange das nicht passiert, sind die Jugendlichen dort gut aufgehoben“, sagt Mitter.

Die überbetriebliche Lehre sei keine Konkurrenz, sondern eine Ergänzung zum Lehrstellenmarkt. Betriebe würden ja oft bemängeln, dass viele Pflichtschulabgänger gar nicht fähig wären, eine Lehre anzutreten. „Da werden sie darauf vorbereitet“, sagt Mitter. Außerdem gebe es in gewissen Bereichen einen Mangel an Lehrstellen. Zum Beispiel in der IT. „Da gibt es einen großen Bedarf an Fachkräften. Die Betriebe bieten aber relativ wenige Ausbildungsplätze an.“

Freundlinger von der Wirtschaftskammer nennt lieber ein anderes Beispiel: Aktuell würden 1863 Einzelhandelslehrlinge überbetrieblich ausgebildet. Und das, obwohl selbst bei großen Handelsketten viele Lehrstellen offen blieben. „Ich frage mich, wie man ohne Kunden und Verkauf einen Einzelhändler ausbildet“, sagt Freundlinger. Er plädiert dafür, die Plätze zu reduzieren und stärker auf Vermittlung der Lehrlinge in die Betriebe zu setzen. Das hat auch die Regierung vor. Weil: „Wenn ich die Kapazitäten schaffe, wollen sie befüllt werden.“

Mehr Suchende als Stellen

Das Ziel sei ohnehin, dass die Lehrlinge übernommen werden, heißt es beim AMS. „Die Ausbildung im Betrieb geht immer vor“, so Sprenger. Mehr als die Hälfte der Lehrlinge wechselt nach einem Jahr aus der überbetrieblichen Ausbildung in eine reguläre Lehrstelle. Im Jänner waren in Österreich 4405 offene Lehrstellen gemeldet. Darauf kamen 5846 Lehrstellensuchende. „Jeder Jugendliche wird bestimmt lieber in einem Unternehmen arbeiten wollen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.20187)

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