Gastkommentar

Kryptowährung Bitcoin: Nur ein Spielball für Naive?

Wie werthaltig neue Formen von Geld sind, lässt sich derzeit noch nicht sagen, zu groß ist die Zahl der Unsicherheitsfaktoren.

Die außerordentliche Volatilität des Bitcoin und anderer Kryptowährungen bedroht in jüngster Zeit nicht nur das internationale Finanzsystem, sondern auch die politische Ordnung. Die Blockchain-Technologie, auf der diese Währungen beruhen, verspricht eine bessere und sicherere Zahlungsmethode als jemals zuvor. Und manche glauben, Kryptowährungen könnten die traditionellen elektronischen Zahlungsmittel ersetzen – so wie elektronische Transaktionen das Bargeld ersetzt haben, das wiederum der Nachfolger von Gold und Silber ist. Andere aber haben den begründeten Verdacht, diese neue Technologie könne manipuliert oder missbraucht werden.

Geld ist Teil unserer sozialen Struktur. Über große Strecken der Geschichte menschlicher Zivilisation hinweg hat es die Grundlage für Vertrauen geschaffen – zwischen den Bürgern und ihrer Regierung, und auch für den Austausch zwischen den Menschen selbst. Fast immer war es Ausdruck von staatlicher Hoheit, und private Währungen gab es nur sehr selten. Münzen aus Metall trugen normalerweise die Zeichen nationaler Identität.

Anschläge mit schlechtem Geld

Ein klares Muster zieht sich durch die Geschichte: Schlechte Staaten geben schlechtes Geld heraus, und schlechtes Geld führt dazu, dass Staaten scheitern. Während Inflations- oder gar Hyperinflationsperioden wurde durch eine radikale Abwertung der Währung die Grundlage der politischen Ordnung zerstört. Der Dreißigjährige Krieg im Mitteleuropa des 17. Jahrhunderts beispielsweise wurde weitgehend dadurch verursacht, dass nach einer Zeit geldpolitischer Instabilität die soziale Ordnung zusammenbrach.

Auf ähnliche Weise wurde während der Französischen Revolution die Legitimität der Jakobiner durch Spekulation mit Papiergeld untergraben. Dieses Geld war an „nationales“ Eigentum gekoppelt, das von den Aristokraten und der Kirche konfisziert worden war.

Während und nach den zwei Weltkriegen im 20. Jahrhundert wiederum zerstörte die Inflation Europas politische Institutionen und fachte die Flammen der Radikalisierung an. Tatsächlich betrachtete Wladimir Lenin die Notenpresse als die „einfachste Methode, um den Geist des Kapitalismus“ und der bürgerlichen Demokratie zu zerstören.

Schlechtes Geld war nicht nur einer der Hauptfaktoren hinter der Auflösung von Nationen, sondern auch entscheidend für zwischenstaatliche Konflikte. Immer schon war es für kriegslüsterne Länder eine billige Methode zur Zerstörung ihrer Gegner, geldpolitische Unruhe auszulösen oder auszunutzen. Sogar in Friedenszeiten reagierten einige Länder auf den Niedergang politischer Beziehungen, indem sie Falschgeld in Umlauf brachten, um jenseits ihrer Grenzen Misstrauen zu säen.

Das beste Beispiel für einen solchen Währungskrieg war das Programm der deutschen Nazis, während des Zweiten Weltkriegs, Banknoten der Alliierten zu drucken. Falschgeld konnte natürlich auch dazu verwendet werden, knappe Ressourcen zu erwerben oder Spione zu bezahlen.

Aber Deutschland plante auch, mit Langstreckenbombern gefälschte Geldscheine über Großbritannien abzuwerfen. Die Demoralisierung und das Chaos, die dadurch verursacht worden wären, kann man sich kaum vorstellen. Jeder, der größere Geldbeträge besaß, wäre dadurch automatisch in Verdacht geraten, und das öffentliche Vertrauen hätte sich schnell aufgelöst. Geld abzuwerfen kann zerstörerischer sein als Bomben.

Noch leichter lässt sich Geld manipulieren, wenn es internationalisiert ist. In der Neuzeit haben Schurkenstaaten wie Nordkorea immer wieder Banknoten gefälscht, vor allem US-Dollar.

Unterminierung des US-Dollars

Auch grenzüberschreitende, elektronische Überweisungen werden häufig für schädliche und kriminelle Zwecke benutzt. Bis jetzt gab es aber außerhalb der Fantasiewelt des Kinos noch keine geldpolitischen Anschläge, die sich global zerstörerisch ausgewirkt hätten.

Natürlich gibt es seit Langem politische Bemühungen, den Dollar zu untergraben oder als dominante Weltwährung zu ersetzen. Die verführerischste Alternative scheint dabei das Gold gewesen zu sein. 2001 versuchte der damalige malaysische Ministerpräsident, Mahathir Mohamad, dem US-dominierten Währungssystem einen „Golddinar“ entgegenzusetzen. 2005 schlug al Qaidas Sicherheitschef Saif al-Adl vor, mithilfe von Gold den Dollar zu vernichten.

Der Bitcoin erinnert dabei an eine Art Gold des 21. Jahrhunderts, und seine Erfinder haben diese Analogie sogar begrüßt. Ihn zu produzieren oder zu „schürfen“ kostet Aufwand. Und genau wie der Goldpreis einst die menschliche Anstrengung widergespiegelt hat, um das Metall in abgelegenen Orten aus dem Boden zu holen, kostet das Schürfen von Bitcoins ein enormes Maß an Rechenleistung, für die billige Energie an abgelegenen Orten von Asien oder Island genutzt wird.

Erinnerungen an 2007/2008

Aber der Aufstieg des Bitcoin spiegelt einen grundlegenden Wandel dessen wider, wie die Gesellschaft grundlegende Werte wahrnimmt. Die vormodernen metallischen Währungen galten als Grundlage für die Theorie der Wertschöpfung durch Arbeit – bei der Güter und Dienstleistungen den Wert haben, der ihnen durch menschliche Arbeit gegeben wird. Die Blockchain-Technologie hingegen besteht aus einer Kombination von Rechenleistung und gespeicherter Energie, die beide nicht menschlich sind.

Gleichzeitig machen es Kryptowährungen wie Bitcoin so gut wie unmöglich, zwischen staatlicher und privater Kriminalität zu unterscheiden. So wird Nordkorea verdächtigt, zu versuchen, die Geldpolitik durch das Schürfen von Bitcoin zu manipulieren, was China und Südkorea dazu veranlasst hat, Bitcoin-Tauschbörsen zu schließen. Auch große Kryptowährungsplattformen wie Coincheck in Japan haben den Handel gestoppt.

Trotzdem haben wir bereits den Punkt erreicht, an dem ein Bitcoin-Crash ernsthafte globale Folgen haben könnte. Wie stark die Finanzinstitute bereits im Bitcoin investiert haben, wissen wir nicht. Die neue Währung weckt schlimme Erinnerungen an die Jahre 2007 und 2008, als niemand wirklich wusste, wie hoch die Investitionen in unsichere Hypothekenpapiere wirklich waren. Welche Geldinstitute pleitegehen würden, konnte man vor dem Crash allenfalls vermuten.

Eine finanzielle Waffe?

Genau wie man nicht sofort beurteilen kann, ob eine Nachricht „fake news“ ist, kann man auch nicht unmittelbar sagen, wie werthaltig neue Formen von Geld sind. Bevor eine Währung durch eine Regierung garantiert wird, genießt sie selten völliges Vertrauen. Dies bedeutet aber nicht, dass sie nicht zum Spielball der Naiven und Leichtgläubigen werden kann – oder zur finanziellen Massenvernichtungswaffe für die politischen Kriegstreiber in aller Welt.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff. Copyright: Project Syndicate, 2018.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Harold James (* 1956 in Bedford) studierte in Cambridge Wirtschaftsgeschichte. Seit 1986 lehrt er als Professor in Princeton Geschichte und Internationale Politik und ist Senior Fellow am kanadischen Center for International Governance Innovation. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt erschien seine Studie „Making the European Monetary Union“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2018)

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