Akademietheater: In dieser "Glasmenagerie" bricht so viel

Die Glasmenagerie | Tennessee Williams | R. David Boesch | Akademietheater
Die Glasmenagerie | Tennessee Williams | R. David Boesch | AkademietheaterReinhard Maximilian Werner
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Das frühe Drama von Tennessee Williams wird von David Bösch schnörkellos inszeniert: Behutsam entdeckt er die Langsamkeit. Dabei spielen die Burgtheaterstars den Zerfall einer Südstaatenfamilie perfekt.

Der junge Mann will ein Dichter werden. Ein Arbeitskollege habe ihn Shakespeare genannt, sagt Tom Wingfield (Merlin Sandmeyer), der auch als Erzähler fungiert und sich dann von der Bühne des Akademietheaters zum Publikum wendet. Die Chancen stehen schlecht für ihn. Tom arbeitet für wenig Lohn als Hilfskraft in einer Fabrik. Das Foto, das später von seinem Arbeitsplatz eingeblendet wird, erinnert an eine moderne Versandhalle. Dieser junge Poet in spe trinkt viel, fast täglich flüchtet er in die Welt des Kinos. Er plant bereits die wirkliche Flucht.

Der große US-Dichter Tennessee Williams (1911–1983) hat in sein Familiendrama „The Glass Menagerie“ viel Persönliches gepackt. Es ist ein Akt der Emanzipation eines Außenseiters. Das 1944 in Chicago uraufgeführte Stück wurde zu einem mehrfach verfilmten Welterfolg. In Wien hat es nun David Bösch streng nach der Vorgabe und so behutsam inszeniert, dass vier Burgstars Paradebeispiele an Figurenzeichnung hinlegen können, wie sich bei der Premiere am Freitag zeigte.

Filigranes in Zeitlupe

In zwei Stunden ohne Pause wird diesem Quartett genug Zeit gegeben, um sich zu entfalten. Die Langsamkeit hat aber ihren Preis. Wer das Filigrane nicht schätzt, könnte sich bei dieser perfekten Zurschaustellung in Zeitlupe auch ein wenig fadisieren. Was ist passiert? Tom gehört zu einer Familie, die längst im Verfall begriffen ist. Der Vater, ein Trinker, war abgehauen, als die Kinder noch klein waren. Es gibt auch noch die leicht behinderte Laura (Sarah Viktoria Frick), die ohne Job ist, sich der Ausbildung verweigert und lieber mit selbst gebastelten Fabelfiguren aus Glas spielt. Ihre Mutter Amanda (Regina Fritsch) klammert sich noch an den Traum intakter Verhältnisse, sie will wenigstens ein kleines bisschen Glück und schwelgt darin, dass sie einst eine Southern Belle gewesen war. Penetrant will sie den erwachsenen Kindern bei Tisch Manieren beibringen, doch der Dachboden, in dem die drei hausen, straft ihre Fantasie bürgerlicher Verhältnisse Lügen.

Einen trostlosen, ärmlichen Raum hat Bühnenbildner Patrick Bannwart geschaffen. Dunkle Pappe klebt an der schiefen Dachschräge der Mansarde, das Bett und die kleine Esstischgruppe wirken abgewohnt, die Küche ist mit einem Vorhang abgetrennt, nur die Glasfiguren bringen etwas Glanz in diese Hütte – bizarre Wesen, die als Mobile-Teile einer Lampe Schatten werfen. Ein ambivalentes Symbol ist die einzige Öffnung nach oben: Auf die Luke regnet es zu Beginn, als Laura darunter steht. Später, noch ist Hoffnung, wird Goldstaub auf sie herabrieseln, und am Ende stellt Laura sich bei geöffneter Luke in den starken Regen. Da ist ihre Chance auf eine Beziehung mit Jim (Martin Vischer) längst verspielt. Dieser Arbeitskollege Toms war auf Betreiben der Mutter eingeladen worden, als ein Heiratskandidat für die unversorgte Tochter. Das Abendessen wird jedoch zum Fiasko. In Böschs Interpretation der „Glasmenagerie“ bricht viel – nicht nur ein Einhorn aus Glas wird zerstört, sondern Laura übergibt sich aus Nervosität zweimal – erst ins beste weiße Kleid, dann auf den Teller. Im Text heißt es bloß, ihr sei schlecht.

Doch diese Introvertierte ist hier nicht fragil. Frick spielt sie auch robust, Laura tanzt trotz Klumpfuß ausgelassen mit Tom, dann mit Jim, der nur in den letzten beiden Szenen auftritt. Mehr Zerrissenheit ist in Amanda zu vermuten. Fritsch zieht alle Register, wenn sie das Leid dieser erst so herrisch wirkenden Frau aufzeigt. Bis in schrillste Expression wirkt diese Verblühte glaubhaft. Die beiden Männer spielen ebenfalls toll. Vischer verleiht Jim Witz – ein Highschool-Held, der in jeder Hinsicht ernüchtert wurde. Sandmeyer zelebriert nicht nur Toms Verlorenheit, sondern zudem die Ironie des wissenden Erzählers. Man wünscht dem traurigen Trinker, dass er sich endlich löst und ein Poet wird. Großer Applaus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2018)

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