Berlinale: Von Filterblasen und der "Lebenslüge" Österreichs

Waldheim
Waldheim(c) Ruth Beckermann Filmproduktion
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Bei der diesjährigen Berlinale erzählen heimische Filmemacher von der
Verdrängung nationaler Schuld („Waldheims Walzer“) und persönlichen
Begehrens („L’animale“) – und appellieren in einer Pressekonferenz an
die Regierung.

„Der Mann, dem die Welt vertraut“ – so kündeten 1986 Wahlplakate der ÖVP. Kurt Waldheim, ehemals Außenminister, UNO-Generalsekretär und erfahrener Diplomat, war nunmehr Kandidat fürs Bundespräsidentenamt der Zweiten Republik. Nicht nur die Welt, auch der Weltraum hatte ihm Vertrauen geschenkt: Auf der goldenen Schalplatte, die 1977 als Botschaft an extraterrestrisches Leben mit der Voyager-Sonde ins All  geschickt wurde, hört man unter anderem die Stimme des gebürtigen Niederösterreichers: „Ich grüße euch im Namen der Menschen unseres Planeten.“

Doch kurz nach Bekanntwerden seiner Kandidatur wandte sich das Blatt. Journalisten rückten Waldheims Tätigkeit als Wehrmachtsoffizier ins Licht der Öffentlichkeit, und die Welt begann, unangenehme Fragen zu  stellen. Der „anständige Soldat“ blieb klare Antworten schuldig, er sah sich als Opfer einer vom Ausland gesteuerten Schmutzkübelkampage. Sein Wahlslogan änderte sich: „Jetzt erst recht!“, forderte man nun von Österreichern, die sich selbst für erste Opfer Hitlers hielten. Und wurde erhört.

Die Causa Waldheim bildet eine Zäsur im heimischen Geschichtsverständnis: Ein Zeugnis reflexartiger Verdrängung, aber auch der Anfang einer verstärkten Auseinandersetzung mit der Eigenverantwortung im NS-Komplex. In ihrem neuen Essayfilm „Waldheims Walzer“, der am Samstag in der „Forum“-Sektion der Berlinale Premiere feierte, rollt Ruth Beckermann den Fall neu auf – als persönliche Vermessung seiner medialen Fußabdrücke.

Der Patriot und der verletzte Nationalstolz

Im Fokus steht weniger Waldheim selbst als die Frage, wie er von sich
und anderen ins Bild gesetzt wurde, in Interviews und Reportagen,
Anklagen und Verteidigungen. Die Montage bedient sich Archivmaterials
unterschiedlichster Provenienz und arbeitet viel mit Kontrastierungen:
Waldheim, die „moralische Autorität“ der Vereinten Nationen, trifft auf
Waldheim, den pikierten Patrioten in Abwehrhaltung. Sein Sohn beteuert
vorm US-Gericht demütig die Verachtung des Vaters für Hitlers grausamen Krieg, später prangert er im ORF-Ferngespräch Verleumdungen durch Einzelgruppen an. Wer wie spricht, hängt immer davon ab, wer gerade zusieht: Heute heißt das Medienkompetenz.
Aber auch Filterblasen gab es damals schon: Während der World Jewish
Congress eher die Integrität Waldheims als einstiger UN-Funktionär
angriff, wie aus Pressekonferenzen ersichtlich wird, fühlte sich das
Land der Berge in seinem Nationalstolz verletzt. Die Politik wusste das
zu nutzen. Ihr Film sei die „Analyse eines Lehrbeispiels“, wie man mit
Hetze und Ressentiments Wahlkampf betreiben kann, so Beckermann beim Publikumsgespräch in Berlin. Aufnahmen aggressiver, offen  antisemitischer Straßendebatten zeugen von den Konsequenzen dieser
Strategie.

Widerstand im Regen

Manche der schwarz-weißen Video-Dokumente stammen von der Regisseurin selbst, die in ruhigen Off-Kommentaren ihre Zeitgenossen-Rolle zwischen Aktivismus und Aufzeichnung reflektiert. Dass es auch im Inland Gegenstimmen gab, wird deutlich, Hubertus Czernin und Peter Turrini blitzen durchs Bild. Dennoch erscheint der Widerstand als Minderheit, die protestierend im Regen steht, während First Lady Elisabeth ein Fernsehteam durch die Familienresidenz führt wie weiland Jackie Kennedy durchs Weiße Haus. Am Schluss hört man Waldheim sagen: „Jetzt kann uns eigentlich nix mehr passieren“. Gemeint ist die Vorbereitung auf eine TV-Ansprache, aber man denkt an etwas anderes.

Im Kontext von Liederbuchskandalen und Burschenschafter-Kontroversen
gewinnt der Film, der schon 2013 konzipiert wurde und erst im Herbst in
Österreich startet, eine Aktualität, aus der Beckermann keinen Hehl
macht. Im Gegenteil: Als eine von vier Vertreterinnen und Vertretern der
Initiative #KlappeAuf, die unlängst bei der Verleihung des Österreichischen Filmpreises initiiert wurde und sich als „Aufruf gegen Verhetzung und Entsolidarisierung“ versteht, wird sie sich am Dienstag in Berlin bei einer Pressekonferenz zu Wort melden. In einer Mitteilung zur Veranstaltung wird die Österreichische Regierung aufgefordert, „die Zusammenarbeit mit allen Mitgliedern rechtsextremer Organisationen sofort zu beenden“.

Verleugnetes Begehren

Auch Beckermanns Mitstreiter sind in den Nebenschienen des
Festivalprogramms vertreten. Das Politische an ihren Arbeiten äußert
sich jedoch auf weniger explizite Weise. Ging es in „Waldheims Walzer“
um die „Lebenslüge“ Österreichs, so handelt Katharina Mücksteins zweite
Spielfilm „L’animale“ von sozial bedingten Verleugnungen persönlichen
Begehrens. Ein Vater (Dominik Warta), der ein homosexuelles Doppelleben führt, beharrt selbst beim Cruising darauf, er sei nicht schwul, während seine Tochter (Sophie Stockinger) mit ihrer Identität als Frau hadert.

Als burschikoses Mitglied einer Motocross-Gang fühlt sie sich wohl – bis
ihr der beste Kumpel Avancen macht. Wolfgang Fischers „Styx“, eine
deutsch-österreichische Koproduktion, bemüht indes eine Allegorie der
Flüchtlingskrise als Kammerspiel auf hoher See: Eine Notärztin (Susanne
Wolff) begibt sich zur Erholung auf einen Segeltörn. Zufällig stößt sie
dabei auf ein Boot voller Geflüchteter. Trotz beschwichtigender Funksprüche zuständiger Behörden beschließt sie einzugreifen – doch
alleine fällt die Rettung schwer.

Verlorene Seelen auf Breitwand-Bildern

Der Kunstkino-Renegat Ludwig Wüst scheint mit seinem schönen
A-Festival-Debüt „Aufbruch“ ein wenig im Abseits zu stehen, erzählt er
doch in gemessenen, dialogarmen Breitwand-Bildern von den inneren und
äußeren Bewegungen zweier verlorener Seelen (gespielt von Claudia
Martini und Wüst selbst). Doch auch bei ihm ist es die unaufgearbeitete
Vergangenheit, deren Unterdrückung daran hindert, Halt zu finden. Und
erst, wenn ihre Nachwehen offen ausgesprochen sind, lässt sich wieder
Atem holen.

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