Migrationspolitik: EU-Staaten kommen mit Abschiebungen nicht nach

Statt immer mehr rechtskräftig abgelehnte Asylwerber in ihre Herkunftsländer zu schicken, gelingen den Unionsmitgliedern von Jahr zu Jahr immer weniger Rückführungen.
Statt immer mehr rechtskräftig abgelehnte Asylwerber in ihre Herkunftsländer zu schicken, gelingen den Unionsmitgliedern von Jahr zu Jahr immer weniger Rückführungen.(c) APA/ROBERT JAEGER
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151.398 abgelehnte Asylwerber wurden voriges Jahr aus der Union abgeschoben - um 16 Prozent weniger als 2016 und so wenige wie zuletzt 2012, warnt die Grenzschutzagentur Frontex in ihrer neuen Risikoanalyse.

Brüssel. Wer kein Bleiberecht hat, der soll raschestmöglich abgeschoben werden: Diesen Grundsatz der Asylpolitik beschwören Innenminister aller Staaten Europas seit Ausbruch der Migrationskrise vor drei Jahren besonders oft. Die Praxis jedoch sieht anders aus. Statt immer mehr rechtskräftig abgelehnte Asylwerber in ihre Herkunftsländer zu schicken, gelingen den Unionsmitgliedern von Jahr zu Jahr immer weniger Rückführungen. 151.398 Abschiebungen gab es im vorigen Jahr. Das waren um 16 Prozent weniger als 2016 und der niedrigste Wert seit fünf Jahren, heißt es in der am Dienstag vorgestellten Risikoanalyse der EU-Grenzschutzagentur Frontex.

„Die abgelehnten Asylwerber werden nicht systematisch zurückgeschickt“, sagte Frontex-Chef Fabrice Leggeri bei der Vorstellung dieses Berichts. Die Gründe dafür liegen vorrangig in der Eigenverantwortung der Europäer. „Die personellen und finanziellen Ressourcen in manchen Mitgliedstaaten sind nicht auf der Höhe, wo sie sein sollten“, kritisierte Leggeri. Zudem würde es vielerorts abgelehnten Asylwerbern leicht gemacht, einfach unterzutauchen, weil die für die ihre Verfahren durchführenden Asylämter nicht gut mit den für die Abschiebung zuständigen Behörden zusammenarbeiteten.

Zahl der Asylanträge halbiert

Das Versagen in der Abschiebepraxis ist umso bemerkenswerter, als die Gesamtzahl der Asylanträge in der Union stark gesunken ist. 701.997 Anträge auf internationalen Schutz gab es voriges Jahr in der EU sowie Norwegen und der Schweiz. Das waren halb so viele wie im Jahr 2016. Auch die Zahl der ertappten illegalen Grenzgänger ist wesentlich gesunken, wenn auch von einem historisch hohen Niveau. 204.719 illegale Einwanderer wurden 2017 erfasst, im Jahr davor waren es 511.047 (im Krisenjahr 2015 überquerten 1,8 Millionen Menschen unberechtigt die Grenzen der EU).

Das Untertauchen abgelehnter Asylwerber ist zuletzt vor allem für Frankreich zum Problem geworden. Denn entgegen dieses geschilderten Trends sinkender Zahlen von Antragstellern wuchs die Summe der Asylwerber in Frankreich voriges Jahr um 17 Prozent auf 100.412. Innenminister Gérard Collomb erklärte jüngst, jeder zweite davon sei bereits in einem anderen EU-Staat registriert worden. Die meisten davon kamen aus Italien und Deutschland, um ihr Glück auf ein Neues in Frankreich zu versuchen. Frankreich verschärft nun deshalb die Abschiebepraxis. Asylanträge müssen künftig nach 90 statt wie bisher nach 120 Tagen gestellt werden, die Schubhaft wird von 45 auf 90 Tage verlängert.

Frontex-Direktor Ruggeri wies allerdings auch darauf hin, dass zahlreiche Herkunftsländer dieser irregulären Einwanderer Mitschuld an den Problemen mit den Abschiebungen trügen. Er forderte die europäischen Regierungen auf, „so viel politischen und diplomatischen Druck zu machen, um diese Länder dazu zu bringen, nötige Reisedokumente auszustellen und ihre Bürger zurückzunehmen.“

Zwei Drittel sind Afrikaner

Frontex hält fest, dass derzeit zwei Drittel der irregulären Migranten Afrikaner seien. In der zweiten Jahreshälfte 2017 seien immer mehr Marokkaner, Algerier und Tunesier in Spanien, Sardinien und Sizilien gelandet. Die größten Gruppen an illegalen Einwanderern seien (nach Syrien) aus Nigeria, Elfenbeinküste und Guinea gekommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2018)

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