"Größter Skandal in der griechischen Geschichte"

Seit mehr als einem Jahr wird über die Praktiken des Konzerns in Griechenland ermittelt.
Seit mehr als einem Jahr wird über die Praktiken des Konzerns in Griechenland ermittelt.(c) APA/AFP/SEBASTIEN BOZON
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Der Fall Novartis erschüttert das Land. Angesehene Politiker sollen Bestechungsgelder in Millionenhöhe angenommen haben. Ein Parlamentsausschuss untersucht den Korruptionsskandal, den Premier Tsipras ausnützt.

Athen. Knalleffekt im Fall Novartis: In einer vergifteten Atmosphäre entschied das griechische Parlament über die Einrichtung eines Parlamentsausschusses zur Untersuchung von Bestechungsvorwürfen gegen zehn Politiker im Rahmen der Ermittlungen gegen den Schweizer Pharmakonzern. Schon die Übermittlung der Untersuchungsakte an das Parlament schlug in Griechenland wie eine Bombe ein. Unter anderen behaupten anonyme Zeugen, dass EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos in seiner Funktion als Gesundheitsminister und Ex-Premier Antonis Samaras Bestechungsgelder in Millionenhöhe angenommen haben.

Neben den konservativen Spitzenpolitikern finden sich unter den belasteten Personen unter anderem Giannis Stournaras, der Chef der griechischen Zentralbank, Adonis Georgiadis, Vizepräsident der konservativen Nea Dimokratia, und Evangelos Venizelos, Ex-Finanzminister und Parteichef der sozialistischen Pasok-Regierung der Jahre 2009-2012. Sämtliche Politiker weisen nicht nur die Vorwürfe scharf zurück, sie sprechen auch von einer „Verleugnungskampagne“ der Linksregierung unter Premier Alexis Tsipras unter dem Eindruck negativer Umfragewerte. Der Justizminister wähnt bereits den „größten Skandal in der Geschichte Griechenlands“.

Für Aufsehen sorgte, dass Samaras nicht nur die Korruptionsstaatsanwältin und Tsipras klagte, sondern auch von „Bandenbildung“ und Verschwörung des Ministerpräsidenten und der zuständigen Staatsanwältin spricht.

Dass der Fall Novartis platzte, kam Tsipras sicherlich gelegen. Gerade noch wegen der Verhandlungen um die Namensfrage von Nachbarstaat Mazedonien schwer unter Druck, konnte er von einem Tag auf den anderen die Aufmerksamkeit auf einen Kernpunkt des politischen Manifests seiner Partei, des radikalen Linksbündnisses Syriza, lenken: das korrupte alte „politische System“. Gleichzeitig beteuert er, dass er keinesfalls einen Vernichtungsfeldzug gegen seine Gegner führen wolle.

EU-Kommissar am Pranger

Seit mehr als einem Jahr wird über die Praktiken des Konzerns in Griechenland ermittelt. Ins Rollen kam der Fall durch Aussagen, die bei parallelen Untersuchungen gegen Novartis in den USA zu den Praktiken in Griechenland gemacht wurden. Der Konzern soll tausende Ärzte durch Geschenke, Geldzahlungen oder Konferenzeinladungen dazu gebracht, haben, seine Medikamente bevorzugt zu verschreiben. Daneben jedoch sollen Beamte und Politiker bestochen worden sein, um Medikamente schneller auf den Markt zu bringen, staatliche Preise in die Höhe zu treiben und allgemein zu überhöhten Preisen in öffentlichen Spitälern absetzen zu können.

Als in Griechenland 2010 die Schuldenkrise ausbrach, kam ein anderes Anliegen dazu: bei der Bezahlung von Schulden der öffentlichen Hand an die Pharmaindustrie bevorzugt behandelt zu werden. Avramopoulos wird vorgeworfen, für teure HIV-Tests und für eine viel zu umfangreiche Bestellung von Medikamenten gegen die Grippe H1N1 Geld kassiert zu haben.

Die Akten, die im Parlament zur Einsicht aufliegen, sollten vertraulich sein, standen aber innerhalb von Stunden vollumfänglich im Internet. Sie betreffen die Jahre 2006-2015 und sollen dem Vernehmen nach eine Bestechungssumme von etwa 50 Mio. Euro betreffen. Insgesamt wurde nach Schätzungen der Regierung die öffentliche Hand durch überhöhte Medikamentenpreise in den Jahren 2000-2010 um etwa 23 Milliarden Euro gebracht. Drei Milliarden Euro entfallen davon auf Novartis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2018)

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