Der Schülerprotest nach dem jüngsten Massaker in Florida fordert Donald Trump heraus. Doch dessen Vorschlag verrät nur eines: Rat- und Hilflosigkeit.
"Ich höre euch." Das haben Donald Trumps Berater auf einem Zettel notiert, den der Präsident verlegen in seiner Hand faltete. Es war als Reaktion gedacht auf die Trauer, die Wut und die Entrüstung von Schülern, Lehrern und Angehörigen von Opfern des Valentinstags-Massakers an einer Highschool in Parkland in Florida, die Trump im Weißen Haus versammelt hat. Die Mitarbeiter um Stabschef John Kelly wissen: Der Präsident ist ein schlechter Zuhörer; einer, der sich am liebsten selbst reden und schwadronieren hört.
Doch nicht allein deshalb waren die 70 Minuten im Amtssitz des US-Präsidenten eine Woche nach dem Amoklauf des 19-jährigen Nikolas Cruz für Trump eine Qual. Die mittelbar und unmittelbar Betroffenen haben ihn mit ihrem Schmerz und mit unbequemen Fragen konfrontiert, die die verstörenden Widersprüche in der amerikanischen Gesellschaft aufzeigen. Dass es in den USA für einen 19-Jährigen leichter ist, im Supermarkt an ein Gewehr zu kommen als an ein Bier, entlarvt eine irrwitzige Doppelmoral.
Das Recht auf Waffenbesitz gilt in den USA als sakrosankt, als Teil des Mythos. Wer den lockeren Zugang zu automatischen und semiautomatischen Sturmgewehren anprangert, muss sich von Waffenverfechtern stets den Vorwurf gefallen lassen, unamerikanisch zu sein und die Freiheitsideale zu verraten. Die Debatte trägt Züge eines Kulturkampfs. Mit Verweis auf die Verfassung und viel Geld hat die mächtige Waffenlobby NRA bisher fast jede Verschärfung des Waffenrechts torpediert – selbst als der Schock am größten war, nach dem Massaker an der Sandy-Hook-Grundschule in Connecticut, dem im Jahr 2012 kurz vor Weihnachten 20 Erstklässler zum Opfer gefallen waren. Barack Obama kullerten Tränen über die Wangen. Doch die republikanische Mehrheit und eine Handvoll Verbündeter bei den Demokraten schmetterten zaghafte Versuche ab, das Waffenrecht einzuschränken.
Es brauchte die inbrünstige Wutrede einer 18-jährigen Schülerin aus Parkland, um die Amerikaner aufzurütteln. Emma Gonzalez hatte die Verbindung der NRA zur Politik offengelegt, die Wahlkampffinanzierung und die Obstruktionspolitik im Kongress. Die NRA zählte bisher darauf, dass die Empörung über jedes der zahlreichen Massaker schon verrauchen würde. Gonzalez hat mit ihrem Furor nun ins Schwarze getroffen.
Es ist ein Phänomen: In den sozialen Medien und im realen Leben verbreitet sich der Schülerprotest. Die stummen Demonstrationen vor dem Weißen Haus in Washington, bei denen sich Schüler minutenlang tot stellen, die Aktionen in Tallahassee, dem Parlament in Florida, die Konfrontationen mit Abgeordneten wie Marco Rubio, dem republikanischen Abgeordneten aus Florida, und nicht zuletzt ein großer, für den 24. März in Washington geplanter Protestmarsch rufen den Amerikanern in Erinnerung, dass in diesem Wahljahr die Mehrheit der Republikaner im Kongress auf dem Spiel steht. Auf Fox News, dem Haussender der Republikaner, raunen Moderatoren schon von einer Verschwörung, einer gesteuerten Kampagne. Das belegt, dass die NRA die Initiative der Kids ernst nimmt.
"Hat irgendjemand hier eine Idee, eine Lösung, wie wir diese Schießereien an Schulen beenden können?" Donald Trumps Frage in die Runde der 40 Gesprächspartner verriet Rat- und Hilflosigkeit – mehr noch aber sein eigener Vorschlag: Wie wäre es mit einer Bewaffnung der Lehrer? Daraus spricht das Credo der NRA, mit der er und sein Sohn Don Jr., ein begeisterter Jäger, im Bunde stehen: „Nur ein guter Mann mit einer Waffe kann einen bösen Mann mit einer Waffe stoppen.“ Dies würde die ohnehin fortgeschrittene Militarisierung der US-Gesellschaft auf die Spitze treiben. Ein Schuss ins Knie quasi.
Der Präsident und die NRA sind mit einem Mal massiv unter Druck geraten. Das fühlt Trump instinktiv, und darum plädiert er neuerdings für eine geringfügige Verschärfung des Waffenrechts – und kassiert dafür Schelte von seinen Anhängern. Er ist ein Getriebener – und das an vielen Fronten. Seine Gegner sind indes mobilisiert. Der Aufschrei der Emma Gonzalez könnte zu einem Fanal für den Präsidenten, die Republikaner und nicht zuletzt für die NRA werden.
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