Ob nach der Wahl zum Europäischen Parlament im Frühling 2019 erneut der Kandidat der stärksten Parteiengruppe Kommissionspräsident wird, ist noch nicht sicher. Der Rat will keinen Automatismus.
Wien/Brüssel. „Dieses Experiment war erfolgreich – nicht nur für mich, sondern auch generell. Ich will keinen Rückschritt erleben, wo es Fortschritt für die Demokratie gab.“ Als erster Kommissionspräsident, der über das bei den Europawahlen 2014 etablierte System der Spitzenkandidaten ins Amt kam, übte Jean-Claude Juncker im Vorfeld des gestrigen EU-Gipfels noch einmal Druck auf die Staats- und Regierungschefs aus. Es ist nämlich keinesfalls allgemeiner Konsens, dass nach der Wahl des nächsten EU-Parlaments im Mai kommenden Jahres wieder der Kandidat der stimmenstärksten Fraktion an der Spitze der Kommission steht.
Mehrere EU-Mitglieder, darunter das gewichtige Frankreich, würden den Prozess am liebsten rückgängig machen. Präsident Emmanuel Macron sähe die dänische Kommissarin Margrethe Vestager gern als Nachfolgerin des freiwillig scheidenden Juncker – das ist in Brüsseler Couloirs längst kein Geheimnis mehr. Das Problem: Vestager gehört keiner der beiden großen Parteienfamilien an, die sich Chancen auf den Sieg ausrechnen können. Sie ist Liberale. Setzt sich das System der Spitzenkandidaten durch, machen das Rennen aber entweder die Europäische Volkspartei (EVP) oder die Sozialdemokraten.
Ungarn hat gar offen Ablehnung gegen das von Kommission und EU-Parlament geforderte Prozedere signalisiert: Rechte und Prioritäten des Rats dürften nicht einfach weggenommen werden, hieß es gestern.
„Keine Garantie“ für Spitzenkandidaten
Und auch Ratspräsident Donald Tusk hat keine Scheu, sich in der Sache mit Juncker und Parlamentspräsident Antonio Tajani anzulegen. Der Europäische Rat könne „keine Garantie“ abgeben, dass ein siegreicher Spitzenkandidat von den Staats- und Regierungschefs auch als nächster Kommissionspräsident vorgeschlagen wird, verlautete am Freitag aus dem Umfeld des Polen.
Erwartet die künftige Kommission also ein Präsident, dessen Bestellung sich – wie es früher Usus war – die EU-Länderchefs hinter verschlossenen Türen ausschnapsen? Wohl kaum. Der künftige Vorsitzende der Brüsseler Behörde muss schließlich von einer Mehrheit der EU-Abgeordneten bestätigt werden – und die großen Parteienfamilien haben längst angekündigt, nur dem siegreichen Kandidaten der Europawahl ihre Stimme zu geben.
Vertraglich verankert ist dieses System freilich nicht. Artikel 17, Absatz 7 der EU-Verträge hält lediglich fest, dass der Europäische Rat „mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission“ vorschlägt und dabei „das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament“ berücksichtigt. Schon nach der Europawahl 2014 sorgte dieser Passus für Diskussionsstoff, als Merkel den EVP-Spitzenkandidaten Juncker als Kommissionschef verhindern wollte – und schließlich doch klein beigeben musste.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2018)