70 Cent für eine Million? Geschenkt.

SMS reicht – und ein Freund kann gewinnen: wie ein findiger Unternehmer ein Glücksspiel auf der Lust am Schenken aufbaut. Und warum wir uns an „Lottelo“ wahrscheinlich nicht gewöhnen müssen.

Eigentlich ist die Idee ja ganz hübsch. Oft – etwa zum x-ten Hochzeitstag von Freunden, zum Namenstag der Geschwister oder zum Geburtstag von Arbeitskollegen – sucht man ja verzweifelt ein kleines Geschenk, ein minimalistisches Zeichen dafür, dass einem das Gegenüber etwas bedeutet. Und zwar gerade so viel, dass eine kurze Grußbotschaft per SMS („Alles Gute zum...“) dem Anlass entsprechend zu wenig wäre. Genauso oft sind das aber Gelegenheiten, in denen ein richtiges, aufwendig durchdachtes und gestaltetes Geschenk etwas übertrieben wäre.

Warum also nicht eine kleine Chance auf das große Glück – oder zumindest auf jenen Bruchteil davon, den man mit Geld kaufen kann – schenken? Genau das ist die Idee, die sich hinter dem Konzept des Spieles „Lottelo“ verbirgt, an dem alle österreichischen Handybesitzer seit zwei Wochen teilnehmen können. Bei Lottelo – einem Fantasiewort aus Lotto und Tel (für Telefon) – spielt kein Spieler für sich selbst, sondern kann mittels kostenpflichtigen SMS für einen anderen Handybesitzer spielen.

Soll heißen, wenn ich einem Freund eine kleine Freude bereiten möchte, schicke ich ein SMS an den Spielbetreiber – die Lottelo-Gesellschaft –, in dem die Nummer dieses Freundes vermerkt ist. Sowohl der Freund als auch ich bekommen daraufhin eine Bestätigung, dass er an der täglichen Auslosung teilnehmen wird. Der Freund freut sich über das Minigeschenk, hat die Chance, eine Million Euro zu gewinnen, und ich bin glücklich, weil ich einem Freund eine kleine Freude gemacht habe – so der Plan. Alle sind glücklich, und die Lottelo-Gesellschaft freut sich über 70 Cent, die mich das Mehrwert-SMS gekostet hat – beziehungsweise über den Anteil davon, den nicht die Mobilfunkbetreiber einbehalten.

Glücklich sind aber bei Weitem nicht alle mit dem Spiel, an dem seit 22.Jänner jeder Österreicher teilnehmen kann. In der vergangenen Woche hat etwa der Verein für Konsumenteninformation (VKI) zum Sturm auf Lottelo geblasen: Die Geschäftsidee für Lottelo sei ebenso „grandios wie gefährlich“, findet Peter Kolba, Chefjurist des Vereins. Das Grundkonzept des Spieles sei, psychologischen Druck zu erzeugen, um auch jene Menschen, für die jemand gespielt hat, dazu zu bewegen, ihrerseits für ihren Gönner zu spielen. Mein Kollege, für den ich gespielt habe, bekommt in seinem Bestätigungs-SMS nämlich den Hinweis, er könnte doch auch mir eine Freude machen und für mich mitspielen. „Das ist fast wie ein Schneeballsystem“, resümiert Kolba: „Je mehr ich spiele, desto mehr spielen die für mich.“

Ein Einwand, den Lottelo-Erfinder und -Geschäftsführer Daniel Goldscheider so nicht gelten lassen will: „Von dem Ansatz her verursacht jedes Geschenk psychologischen Druck, als Reaktion darauf, etwas zurückzuschenken.“ Mit der Argumentation könnte man sogar gegen bloßes SMS-Schreiben vorgehen, weil dies ja auch dazu verleitete zurückzuschreiben, findet Goldscheider. Der Klage wegen unlauteren Wettbewerbs, mit der der VKI sein Spiel untersagen lassen will, sieht der 36-Jährige, der bisher Medienunternehmen in den USA und der Schweiz betreut hat, gelassen entgegen. Schwerer tut sich Goldscheider schon mit dem zweiten Vorwurf der Konsumentenschützer: dass nämlich Jugendliche nicht ausreichend geschützt sind.

Lottelo kann, wie gesagt, jeder spielen, der über ein Mobiltelefon verfügt – und wenn ein Achtjähriger ein Handy hat, dann kann auch er für jemand anderen mitspielen beziehungsweise jemand anderer ihn für die Ziehung anmelden. Bei der Anmeldung wird nämlich das Alter der Spieler nicht kontrolliert. Erst wenn ein Minderjähriger gewänne, wird das Alter offenbar. Der hätte dann – rechtlich darf man an Spielen wie Lottelo erst ab 16 Jahren teilnehmen – in Goldscheiders Worten „Pech gehabt“.

Ein Gewinn ist aber ohnehin nicht sehr wahrscheinlich. Gezogen wird die Handynummer, die die Million gewinnt, nämlich nicht bloß aus den Teilnehmern, sondern aus einem Pool von zwölf Millionen Nummern. Spiele ich also für den Kollegen an einem Tag, an dem zufällig gerade sonst niemand spielen sollte, steht seine Chance, die Million zu gewinnen, 1:11.999.999. Zum Vergleich: Beim Lotto: 6 aus 45 steht die Chance, einen Sechser zu erraten, bei 1:8.145.060, also etwas besser. Wenn wir die sonstigen (kleinen) Preise außer Acht lassen – im Pot sind neben dem Millionengewinn täglich noch dreimal 25.000 Euro, zehnmal 250 Euro und 100-mal 25 Euro sowie zwei Millionen Gratisteilnahmen für eine weitere Lottelo-Runde –, ist die Chance, dass die Lottelo-Gesellschaft überhaupt auszahlen muss, überschaubar: Derzeit bewegt sich die Zahl der Menschen, die täglich für einen anderen spielen, im niedrigen vierstelligen Bereich – was bedeutet, dass statistisch nur etwa an einem von 12.000 Spieltagen ein Millionengewinn fällig wird.

Gegen Gewinne versichert

So erklärt sich auch, wie die Lottelo-Gesellschaft mittel- bis langfristig in die schwarzen Zahlen kommen möchte: Von den rund 35 Cent, die nach Abzug des Anteils der Mobilfunkbetreiber (kolportiert wird, er mache etwa die Hälfte der 70 Cent aus) übrig bleiben, ließe sich natürlich kein täglicher Millionengewinn finanzieren. Zusätzlich hat sichdas Unternehmen aber auch noch abgesichert. Rein theoretisch wäre es – der „Worst Case“ für Lottelo – möglich, dass 365 Tage im Jahr nur ein Spieler für einen Freund teilnimmt, dieser aber immer die Million gewinnt. 365 Millionen Preisgelder stünden alsogerade einmal 255,50 Euro an Einnahmen gegenüber. Dagegen hat sich Lottelo bei dem US-Unternehmen SCA Promotions versichert, das Glücksspiele in einem solchen unwahrscheinlichen Fall davor schützt, in die Tasche greifen zu müssen. JedenMillionengewinn bei Lottelo übernimmt SCA – dessen Präsident übrigens das Mathematikgenie Robert Hamman, einer der erfolgreichsten Bridgespieler der Welt, ist. Im Gegenzug zahlt Lottelo eine Versicherungsprämie an SCA und wälzt so das Risiko ab.

Ob es Lottelo überhaupt so lange geben wird, dass der Gewinnfall zum Tragen kommt, ist aber höchst fraglich. Denn möglicherweise, nach Meinung mehrerer Juristen, die aber anonym bleiben wollen, unterliegt das Spielprinzip den Regeln einer „Ausspielung“ nach dem Glücksspielgesetz – und verstößt damit gegen das Monopol der Casinos Austria. Lottelo-Gründer Daniel Goldscheider sieht das nicht so: „Das Glücksspielgesetz bezieht sich nur auf Spiele, bei denen man einen Einsatz leistet, um selbst zu gewinnen – nicht wie bei uns, um jemand anderem zum Gewinn zu verhelfen.“ Dass das Finanzministerium sich dieser Meinung anschließen wird, gilt in Expertenkreisen aber als unwahrscheinlich, ein Prüfungsergebnis, das ein Verfahren gegen Lottelo einleiten wird, wird dieser Tage erwartet – und könnte damit einer hübschen Idee ein schnelles Ende bereiten: Glücksspielen, aber nicht für sich selbst. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2010)

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