Lebensmut

Was Lebensmut ist, wird schockierend klar, wenn er plötzlich ganz aufhört. Wie können wir einander stärken? Für wen kann ich mit meiner Freundschaft Lebensmut aufbauen.

BIMAIL VON Dominik Markl SJSchützenkompanien, Musikkapellen, Feuerwehren, Freunde vom Krippenbauverein und hunderte Bekannte kamen am 29.Dezember zum Friedhof von Sistrans, meinem Tiroler Heimatdorf, um sich von Werner zu verabschieden, dem mitten im Leben stehenden, überall engagierten, sympathischen Familienvater, um ihrer Fassungslosigkeit Ausdruck zu verleihen. Er hatte sich zu Weihnachten das Leben genommen. Überwältigend, wie die Geschwister einander zu trösten versuchten, beeindruckend, wie seine Frau diesem Abschied standhalten konnte.

Am Tag dieses Begräbnisses ging Tobias, den ich aus der Jugendarbeit der Jesuiten kannte, als Student in den Tod. Und am Silvestertag erzählten mir zwei Freunde beim Aufstieg zur Berghütte erschüttert von zwei 16-jährigen Tirolern, die ebenfalls im Dezember in ihrer Nähe aus dem Leben gegangen waren. Für mich auch deshalb bestürzend, weil ich in der Jugendarbeit so viele 16-Jährige kennengelernt hatte, die mich gerade wegen ihrer ungebändigten Lebensenergie, ihrem Drang zur Erfahrung in dieser Lebensphase begeisterten.

Freilich, hinter jedem dieser Schicksale verbirgt sich eine einmalige innere Biografie, und niemandem steht im Rückblick ein Urteil darüber zu, wer oder was hätte helfen können. Wer kann schon in die Tiefen der Seele blicken, und wer solch extreme psychische Dynamiken nachvollziehen, die jemanden bewegen müssen, um diesen Schritt zu tun? Und doch treibt mich jetzt die Frage, wer und was den Lebensmut und die Freude jener Jugendlichen stärken könnte, die in unserer Nähe leben, und die vielleicht unbemerkt an einen Punkt geraten, wo die Verzweiflung nahe ist. Deshalb erstaunen mich jetzt wieder aufs Neue Menschen, die von außergewöhnlich starkem Lebensmut beseelt sind. Jesus war ein solcher Mensch. Was lässt sich aus seiner inneren Biografie lernen? Wie hat sich sein sonderbar unbeugsamer Lebensmut in seiner Jugend entwickelt? Beim letzten Tempelweihfest ist die Stimmung in Jerusalem eskaliert, beinahe hätte man ihn gesteinigt.

Dennoch hat er keine Angst davor, wieder in diese ideologisch überhitzte Stadt zu gehen. Selbst seine Schüler fragen erstaunt, woher er diesen Mut nimmt. Was Jesus motiviert, ist seine Freundschaft mit Martha, Maria und Lazarus, die emotional so stark ist, dass der Evangelist betont, Jesus habe diese Menschen geliebt.

Jedenfalls gehören sie zu den Menschen, bei denen er Rückhalt gefunden hat, mit denen er seine ureigene Persönlichkeit entwickeln konnte; mit denen er vielleicht die Abenteuer der Jugend erleben, mit denen er die Fragen der Heranwachsenden besprechen konnte: was im Leben am meisten zählt, woran man sich im Tiefsten festhalten kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2010)

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