Deutsche Städte können Diesel-Fahrverbote verhängen

AFP (SEBASTIAN WILLNOW)
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Das deutsche Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hält Diesel-Fahrverbote im Kampf gegen die Stickoxid-Belastung der Luft für zulässig.

Millionen Dieselauto-Fahrer können voraussichtlich bald nicht mehr unbegrenzt in Städten mit hoher Luftbelastung fahren.  Das Bundesverwaltungsgericht wies am Dienstag die Revision der Länder Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gegen die von örtlichen Verwaltungsgerichten geforderten Fahrverbote in Stuttgart und Düsseldorf zurück. Deren Urteile seien nicht zu beanstanden, erklärte der Vorsitzende Richter Andreas Korbmacher in Leipzig. Fahrverbote sind demnach als letztes Mittel zulässig, um die Grenzwerte für gesundheitsschädliches Stickoxid (NOx) einzuhalten. Sie müssten aber verhältnismäßig sein und nicht auf einen Schlag eingeführt werden. Voraussichtlich würden sie nur in wenigen Ballungsräumen eingeführt.

Das Urteil könnte die schon wegen des Abgasskandals gesunkene Nachfrage nach Diesel-Pkw weiter einbrechen lassen. Die Autoindustrie wehrt sich vehement gegen Fahrverbote. Aktien von Autoherstellern verbuchten nach dem Urteil Verluste.

Das Gericht hatte im Rechtsstreit der Länder mit der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zu entscheiden. Aber auch rund 20 weitere Städte mit zu hoher Stickoxid-Belastung hat die DUH auf eine Verschärfung der Luftreinhaltepläne verklagt. Denn die hohe NOx-Belastung greift die Atemwege und das Herz-Kreislauf-System an. Die EU führt jährlich rund 400.000 vorzeitige Todesfälle in Europa auf Schadstoffe zurück, direkt wegen hoher NOx-Belastung seien 2003 rund 70.000 Menschen verstorben. Der seit 2010 geltende Grenzwert von 40 Mikrogramm NOx je Kubikmeter Luft wird an Messstellen in 70 deutschen Kommunen noch immer nicht eingehalten, auch wenn der Trend seit Jahren rückläufig ist.

Fahrverbote könnten nach einer entsprechenden Änderung von Luftreinhalteplänen bundesweit für mehr als zwölf Millionen Diesel-Pkw gelten, die noch nicht die neueste Abgasnorm Euro 6 erfüllen. Wie am Wochenende bekannt wurde, hat das Bundesverkehrsministerium bereits eine Änderung der Straßenverkehrsordnung vorbereitet, damit Kommunen selbst Dieselfahrzeuge von belasteten Strecken verbannen können. Darüber hinaus sind viele weitere Maßnahmen wie bessere Verkehrssteuerung oder der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs notwendig, um die Grenzwerte überall einzuhalten.

Die EU-Kommission stuft die bisherigen Anstrengungen Deutschlands zur Verminderung der Stickoxid-Werte als unzureichend ein und droht mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Deutschland steht aber nicht allein am Pranger, sondern zusammen mit acht weiteren Mitgliedstaaten: Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien, Rumänien, Ungarn, der Tschechischen Republik und der Slowakei.

"Böse verzockt"

Der Naturschutzbund NABU begrüßt das Diesel-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. "Die Autoindustrie hat sich böse verzockt", so Geschäftsführer Leif Miller. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht das Urteil als Niederlage für die Bundesregierung. "Wir erleben hier ein Debakel für die Regierungspolitik der großen Koalition, die sich einseitig auf die Seite der Autoindustrie geschlagen hat", sagte DUH-Chef Jürgen Resch. Benötigt würde nun eine bundesweite Regelungen, um den Kommunen zu helfen.

Der Maschinenbau-Verband VDMA hält generelle Fahrverbote für Diesel-Autos für den falschen Weg, um Schadstoff-Probleme in Städten zu lösen. Weit besser wäre eine bessere Verkehrslenkung und ein attraktiver öffentlicher Nahverkehr, meint der Verband. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund bezeichnet es als "Irrglauben", mit der Bestätigung von Fahrverboten für Dieselfahrzeuge  sei eine Lösung des Schadstoffproblems gefunden. Es sei ein falscher Eindruck, dass sich mit möglichst viel Regulierung und Verboten die Stickoxid-Belastung in den betroffenen Städten reduzieren lasse, sagt Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Die stellvertretende CDU-Vorsitzende und designierte neue Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner erklärt auf Twitter: "In einem Pendlerland müssen wir auch an die denken, die einen kleinen Geldbeutel haben, sich nicht das neueste Automodell leisten und auch nicht mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen können."

Eine Mehrheit der Deutschen ist zufolge bereit, bei künftigen Diesel-Fahrverboten auf alternative Verkehrsmittel umzusteigen. Das geht aus einer YouGov-Umfrage im Auftrag des Ökostromanbieters LichtBlick hervor.

Das Urteil zu Diesel-Fahrverboten erhöht nach Auffassung von DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert den Druck auf Politik und Hersteller, "die längst überfällige Verkehrswende durchzusetzen". Nun seien sie zu Maßnahmen gezwungen, um dreckige Diesel-Autos von den Straßen zu verbannen.

Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer hatte fest mit Diesel-Fahrverboten in Städten gerechnet. "Egal wie das Urteil ausfällt: Wir laufen in Fahrverbote hinein, wenn keine Hardware-Nachrüstungen für Diesel-Pkw in Angriff genommen werden", sagte er  dem "Handelsblatt". 

Autoaktien auf Talfahrt

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) verwies darauf, dass die Vorgaben zur Luftreinhaltung in den Städten auch ohne Fahrverbote erreicht werden können. Mittelfristig würde Luftqualität durch die steigende Zahl an Fahrzeugen mit neuen Abgasstandards verbessert, erklärte VDA-Chef Matthias Wissmann.

Unmittelbar nach der Urteilsverkündigung war bereits klar, dass die Autoindustrie Handlungsbedarf hat. Die Aktien der Autobauer VW, BMW und Daimler sowie des Zulieferers Continental verloren an Wert. Einer Arbeitsgruppe unter Leitung des Bundesverkehrsministeriums zufolge würde eine Nachrüstung von fast sechs Millionen Diesel-Fahrzeugen mit sogenannten SCR-Katalysatoren bis zu zehn Milliarden Euro kosten. Bisher lehnte die Autoindustrie den Umbau entschieden ab.

(Reuters)

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