Die Ökonomen haben auf die Banken vergessen

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Die Krise der Wirtschaft ist auch eine ihrer Forscher. Deren Verwirrung hat einen einfachen Grund: In ihren Standardmodellen gibt es gar keinen Finanzsektor. Nun wird fieberhaft hinterhermodelliert.

Volkswirte haben es nicht leicht – schon gar nicht in Zeiten der Krise, in denen sie gefragter sind denn je zuvor. Kameras und Mikrofone recken sich ihnen entgegen, Schicksalsfragen prasseln auf sie nieder: Wie konnte es zu dem Schlamassel kommen? Was muss man tun, damit es sich nicht wiederholt? Wie geht es weiter? Sie haben eine Minute Zeit! Kein Wunder, dass die armen Ökonomen ins Schwitzen geraten.

Viel bedenklicher ist, dass sie auf diese Fragen auch dann keine Antwort finden, wenn sie tagelang unter ihresgleichen debattieren. Die Krise wurde zur Sinnkrise der Zunft. So unverständlich ihre Arbeiten für Laien auch sind: Jedermann weiß nun, dass die kunstvollen Modellwelten die Krise nicht voraussagten und deshalb unter schwerem Verdacht stehen, mit der Realität wenig zu tun zu haben.

Oft kritisiert wurde eine Annahme, die den Mainstream-Modellen seit den Siebzigerjahren zugrunde liegt: dass Wirtschaftssubjekte nicht immer rational handeln, da sie doch Menschen sind und mehr ihrem Bauch vertrauen als ihrem Verstand. Aber es gibt eine griffigere Erklärung, warum die Turbulenzen der letzten zwei Jahre die Ökonomen in so heillose Verwirrung stürzen: Diese Krise verbreitete sich über die Finanzwelt. Und eben dieser Sektor kommt in den meisten Makromodellen der letzten 40 Jahre gar nicht vor. Selbst in dem sehr ausdifferenzierten Modell, mit dem die Europäische Zentralbank arbeitet, sucht man vergeblich nach Banken – ein blinder Fleck im Auge des Taifuns.

Nun sind Volkswirte nicht generell weltfremde Bewohner von Elfenbeintürmen. Sie müssen das unendlich vielfältige Treiben im Wirtschaftsleben grob vereinfachen, um zu praktikablen Theorien zu kommen. Natürlich gibt es bei ihnen Unternehmen, die Kapital für Investitionen brauchen, und Haushalte, die dafür ihre Ersparnisse zur Verfügung stellen. Die Banken und Börsen aber, die diese Geschäfte vermitteln, kürzen sie aus ihrem Abbild der Wirklichkeit heraus.

Gefährliche Finanzexperten

Dafür gibt es auch gute Gründe. Wertpapierbörsen sind jenes Parkett, das dem Ideal eines vollkommenen Marktes am nächsten kommt – mit fast vollkommener Information und sekundenschneller Anpassung der Preise an Angebot und Nachfrage. Und die Banken? Galten als effiziente Intermediäre, die die Kreditwürdigkeit von Schuldnern einschätzen. Warum sollten gerade von ihnen Schocks ausgehen, die ganze Volkswirtschaften aus dem Ruder laufen lassen?

Heute wissen wir es besser. Und seit zwei Jahren beeilen sich auch die Ökonomen, das Versäumte nachzuholen. Eine viel diskutierte aktuelle Arbeit kommt aus Princeton. Geschrieben hat sie eine Nachwuchshoffnung, der Deutsche Markus Brunnermeier, zusammen mit seinem Fakultätskollegen Yuliy Sannikov. Unter dem schlichten Titel „Ein makroökonomisches Modell mit einem Finanzsektor“ finden sich dort, in Formeln gegossen, vertraute Akteure.

Es geht um „Experten“ – Banken, Hedgefunds, Versicherungen –, die eine gefährliche Eigentümlichkeit aufweisen: Sie verschulden sich in der Hochkonjunktur stark und hebeln so mit viel Risiko die Rendite ihres Eigenkapitals. Der Rest der Volkswirtschaft dankt es ihnen, weil sie damit das Wachstum anfeuern. Ihr Handeln ist völlig rational: Wenn sie es nicht täten, müssten sie Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen.

Auch ist es grundvernünftig, das eigene Risiko durch Kreditversicherungen, Optionsgeschäfte und forderungsbesicherte Wertpapiere auf andere abzuwälzen, die so etwas kaufen wollen. Wenn aber Blasen platzen und der Marktwert der Sicherheiten einbricht, kommt es zu „negativen Feedbackschleifen“: Um sich zu entschulden und liquide zu bleiben, müssen die Institute eiligst ihre Aktiva verkaufen. Damit aber gehen die Werte vieler Anlageklassen zeitgleich in den Keller.

Darunter leiden auch die Investoren und Institute, die zuvor größere Vorsicht walten ließen. Die Volkswirtschaft gerät nicht in eine Abweichung vom Gleichgewicht, in das sie schnell wieder zurückfindet – solche Phänomene wurden oft genug analysiert –, sondern droht zu entgleisen. Offen bleibt dabei, welche Empfehlungen die Ökonomen aus ihren neuen Erkenntnissen ableiten. Hier zeichnen sich zwei Gruppen ab: Auf der einen Seite stehen die Neokeynesianer, die sich in ihrer Skepsis gegen die Marktkräfte bestätigt sehen und auf laufende staatliche Eingriffe drängen. Auf der anderen Seite die Ordoliberalen, die sich ihr Grundvertrauen in die Marktwirtschaft nicht erschüttern lassen.

Für sie erweitert sich nur der Ordnungsrahmen, den der Staat vorgeben muss. Ging es früher vor allem um Verhinderung von Monopolen, kommt jetzt eine stärkere Regulierung des Bankensektors dazu – etwa durch strengere Eigenkapitalvorschriften. In der Sprache der Ökonomen: Externe Effekte – wie das in die Welt hinausgestreute Risiko – werden „internalisiert“ und damit für die Banken wieder entscheidungsrelevant.

Dass auch solche sanfteren Eingriffe erfolgreich sein könnten, darauf deutete schon 1993 eine Arbeit des Wirtschaftshistorikers Charles Kindleberger hin. Er zeigte auf, dass es in den letzten vier Jahrhunderten in Westeuropa laufend zu Finanzkrisen kam – im Schnitt alle zehn Jahre. Doch ihre Zahl nahm rapide ab, als die Staaten begannen, Zentralbanken, Regulierungen und Kapitalvorschriften einzuführen. Was in der Regel funktioniert, so die Hoffnung, sollte sich auch gegen schwere Schocks aufrüsten lassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2010)

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