Strafverfahren: Berlin und Paris warnen Warschau

Brüten im Europa-Gebäude: Die 27 Europaminister befassten sich am Dienstag in Brüssel mit dem polnischen Justizumbau.
Brüten im Europa-Gebäude: Die 27 Europaminister befassten sich am Dienstag in Brüssel mit dem polnischen Justizumbau.(c) APA/AFP/LUDOVIC MARIN
  • Drucken

Deutschland und Frankreich stellen sich hinter das EU-Verfahren und drängen die polnische Regierung, den Umbau der Gerichtsbarkeit rückgängig zu machen.

Brüssel. In scharfem Ton appellieren die Regierungen Deutschlands und Frankreichs an die Führung Polens, den geplanten Umbau des Justizwesens in jenen Punkten rückgängig zu machen, welche einen Angriff auf die Grundwerte der EU darstellen.

„Wir teilen die Sorgen um die Justizreformen in Polen. Wir würden uns hierzu nicht äußern, wenn es allein ein internes Thema in Polen wäre“, heißt es in einer am Dienstag anlässlich der Ratstagung der Europaminister in Brüssel veröffentlichten gemeinsamen Erklärung. „Aber die Situation ist im Lichte unserer Werte, auf die die EU aufgebaut ist und denen Polen zugestimmt hat, problematisch. Diese Anerkennung unserer Werte können auch durch nationale parlamentarische Mehrheiten nicht ausgehebelt werden.“ Europa-Staatsminister Michael Roth und Europaministerin Nathalie Loiseau äußerten in diesem Memorandum ihr Bedauern darüber, dass der bereits seit zwei Jahren dauernde Dialog der Kommission mit der nationalkonservativen polnischen Regierung „leider die aufgeworfenen Fragen noch nicht gelöst habe.“ Es sei daher richtig, dass die Brüsseler Behörde im vorigen Dezember erstmals in der Geschichte der Union ein Verfahren eingeleitet habe, das bis hin zu Polens Verlust der Stimmrechte im Rat führen könnte. „Frankreich und Deutschland unterstützen die Kommission und das Verfahren“, hielten Roth und Loiseau fest.

Gütliche Einigung ist fraglich

Bis Ende März wird sich entscheiden, ob dieses Verfahren nach dem mittlerweile recht geläufigen Artikel 7 des EU-Vertrages in die erste ernste Phase tritt. Eine Vier-Fünftel-Mehrheit im Rat ist dafür notwendig, es müssten folglich 22 Mitgliedstaaten dem Befund zustimmen, dass Polens Regierung die Grundwerte der Union zu verletzen droht. An dieser Stelle wäre allerdings Endstation, denn bekanntlich hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán bereits gelobt, die erforderliche Einstimmigkeit für den Beschluss tatsächlicher Sanktionen mit seinem Veto zu verhindern.

Was also ist der Zweck dieses Verfahrens, wenn es doch ohne die politisch realistische Aussicht auf eine Bestrafung bleibt? Frans Timmermans, der mit diesem Dossier betraute Vizepräsident der Kommission, legte den Ministern am Dienstag die begründete Bedenken hinsichtlich der polnischen Justizpolitik vor (siehe unten stehender Artikel). Seine Hoffnung ist es, Warschau durch die besonders korrekt Einhaltung des formalen Ablaufs von Artikel 7 und die mehrfache Einladung zum Dialog die Möglichkeit zu gewähren, unter Gesichtswahrung von den bedenklichsten Aspekten der geplanten Beschneidung der richterlichen Unabhängigkeit abzurücken. „Ich warte auf die Dokumente, welche wir demnächst erhalten sollten. Ich behalte die Hoffnung, dass etwas Positives herauskommt.“

So eine gütliche Einigung ist allerdings fraglich. Die Justizfrage ist ein Herzensthema der polnischen Regierung, mehr als kosmetische Änderungen wird sie kaum zu akzeptieren bereit sein.

Heiße Kartoffel für Österreich

Europaminister Gernot Blümel erklärte vor Beginn des Treffens, er hoffe, „dass die Polen die Möglichkeit nutzen, bis zum Ende der Frist die Möglichkeit zu nutzen, das im Dialog zu lösen und die Kritikpunkte auszuräumen. Das wäre für alle Beteiligten der absolut beste Weg.“ Angesichts der am 1. Juli beginnenden österreichischen Ratspräsidentschaft hofft die Bundesregierung, dass sich dieses Problem zuvor auflöst – und ihr die heiße Kartoffel des Streits um die Rechtsstaatlichkeit in Polen nicht in den Schoß fällt.

Die Vorwürfe

Laut der Analyse der EU-Kommission ist Polens Oberster Gerichtshof heute „nicht mehr in der Lage, eine wirksame verfassungsrechtliche Kontrolle zu gewährleisten“. Der Grund dafür liegt in Reformen, die seit zwei Jahren umgesetzt werden.

Die nationalpopulistische Regierung hat das verfassungsmäßige Verfahren zur Ernennung von Richtern de facto außer Kraft gesetzt. Fast 40Prozent der Richter am Obersten Gerichtshof wurden zwangsweise in Ruhestand versetzt. Es obliegt dem Staatspräsidenten, die Amtszeit nach eigenem Ermessen zu verlängern. Die künftigen Richter werden auf Empfehlung des neu zusammengesetzten Landesrates für Justizwesen nominiert. Die Mitglieder dieses Gremiums wurden so ausgewählt, dass die Regierungspartei darin eine bestimmende Mehrheit hat. Nach Ansicht der EU-Kommission wurde auch der Präsident des Verfassungsgerichts „rechtswidrig“ ernannt. Zudem wurden bestimmte Urteile des Obersten Gerichtshofs von der Regierung nicht veröffentlicht.

Die Regierung kann somit auf die Prüfung von heiklen Gesetzen direkten Einfluss nehmen. Dies betrifft so wichtige Rechtsakte wie das neue Wahlgesetz, ein Mediengesetz, das Demonstrationsrecht oder ein Gesetz über Nichtregierungsorganisationen.

Von den umstrittenen Justizreformen sind zudem ordentliche Gerichte betroffen. Auch hier wurden Richter durch Absenkung des Pensionsalters aus dem Verkehr gezogen. Es liegt bei diesen Fällen im Ermessen des Justizministers, einzelnen Richtern eine längere Tätigkeit zuzugestehen. Der Justizminister kann nach eigenem Ermessen auch die Präsidenten aller Gerichte ernennen oder entlassen. 32 dieser Präsidenten wurden bereits auf diese Weise neu ernannt.

Auswirkungen auf gesamte EU

Problematisch sind diese Reformen nicht nur wegen ihrer Auswirkungen auf die für eine Demokratie notwendige Gewaltenteilung in Polen selbst. Im gemeinsamen Binnenmarkt sind auch andere Mitgliedstaaten, viele grenzüberschreitend tätige Unternehmen und Organisationen vom Funktionieren des polnischen Justizsystems abhängig. Nicht zuletzt steht die auf gegenseitigem Vertrauen basierende Zusammenarbeit der 28 Justizbehörden – etwa beim Europäischen Haftbefehl – infrage.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

January 21 2018 Krakow Poland Members of the Polish opposition and activists wearing black ba
Außenpolitik

"Schädliche" Justizreform: Irisches Gericht stoppt Auslieferung an Polen

Eine Richterin stoppt die Auslieferung eines Drogenhändlers wegen der Sorge um die Unabhängigkeit der Justiz. Einen vergleichbaren Fall habe es in der EU noch nicht gegeben, sagte er der frühere Präsident des polnischen Verfassungsgerichts.
Die Proteste gegen die Gängelung der polnischen Justiz halten an. Nun müssen die EU-Mitgliedstaaten zu den Vorwürfen der EU-Kommission Stellung nehmen.
Rechtsstaatlichkeit

Causa Polen sorgt für Unbehagen

Heute befasst sich der Rat der EU erstmals mit den umstrittenen Justizreformen. Die Kandidatenländer auf dem Westbalkan orientieren sich bereits an anderen Ländern.
Europa

Visegrad-Treffen: Orban wettert gegen "EU-Imperium"

Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei sprechen sich gegen eine Vertiefung der EU aus. Auch ihr Nein zu Flüchtlingsquoten bekräftigen sie.
Polens Premierminister Mateusz Morawiecki stellt sein neues Team vor.
Konflikt mit der EU

Polens Charmeoffensive vor Treffen mit Juncker

Der neue Premier, Mateusz Morawiecki, bildet sein Kabinett um. Die in Brüssel unbeliebten Außen- und Umweltminister müssen gehen. Im Schlüsselressort Justiz haben aber nach wie vor Hardliner das Sagen.
Premier Mateusch Morawiecki spricht zu seinem umgebildeten Kabinett.
Außenpolitik

Neuer Premierminister baut Polens Regierung massiv um

Wichtige Posten werden neu besetzt. Premier Morawiecki trifft auf EU-Kommissionspräsident Juncker und hofft auf eine Entspannung der Beziehungen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.