Erste Festnahmen nach Journalistenmord in der Slowakei

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Proteste APA/AFP/VLADIMIR SIMICEK
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Die slowakische Polizei ermittelt gegen Italiener mit möglichen Mafia-Verbindungen: Jan Kuciak hatte in seiner letzten, unvollendeten Reportage über Verbindungen der Geschäftsleute mit Regierungskreisen berichtet.

Der Mord an dem Investigativjournalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten hält die Ermittler in der Slowakei auf Hochtouren. Am Donnerstag führte die Polizei zahlreiche Razzien in Immobilien italienischer Unternehmer im Osten des Landes durch, sieben Personen wurden dabei vorläufig festgenommen. Ermittler würden einer "italienische Spur" folgen, bestätigte Polizeipräsident Tibor Gaspar.

Unter den Festgenommenen war laut Medienberichten auch der Italiener Antonin Vadala und mehrere seiner Verwandten, die in der letzten - unvollendeten - Reportage des ermordeten Kuciak namentlich erscheinen und demnach Verbindungen zu kalabrischen Mafiagruppen haben sollen. Über Firmen in der Ostslowakei sollen sie auch zu EU-Fördergeldern in Millionenhöhe gelangt sein. Brüssel kündigte an, die Finanzströme von EU-Agrarsubventionen in die Slowakei gründlicher unter die Lupe nehmen zu wollen.

Laut der letzten Recherche des erschossenen Reporters hatten sich Mitglieder der italienischen Mafia vor Jahren im Osten der Slowakei angesiedelt, Kontakte bis in höchste Stellen der slowakischen Regierung geknüpft und waren über ihre Firmen mittels Steuerbetrug und Missbrauch von EU-Fördergeldern zu Reichtum gelangt. Eine Assistentin des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Robert Fico sowie der Sekretär des Sicherheitsrates sollen einst rege Geschäftskontakte mit den Italienern unterhalten haben. Inzwischen haben beide ihre Posten vorläufig geräumt.

Regierungschef in der Kritik

Der Journalistenmord und angebliche Verbindungen zur Mafia schlagen immer höhere politische Wellen. Neben heftigem Druck der bürgerlichen Opposition ist Premier Fico auch mit zunehmender Kritik des eigenen Koalitionspartners, der ungarisch-slowakischen Versöhnungspartei Most-Hid von Bela Bugar, konfrontiert.

Laut Medienberichten soll Lucia Zitnanska, Justizministerin und Mitglied der Partei Most, überlegen, dem Beispiel von Kulturminister Marek Madaric (Smer) zu folgen, der am Mittwoch in Folge des Journalistenmordes seinen Rücktritt angekündigt hatte. Zitnanska hatte es zuvor als "absolut unannehmbar" bezeichnet, dass im Regierungsamt Personen mit eventuellen Mafia-Verbindungen agieren sollen.

Neben einer Abdankung der Ressortchefin sei aber auch noch ein völliger Rückzug der Most-Hid aus der aktuellen slowakischen Regierungskoalition möglich, wie Medien berichteten. Die Partei soll nämlich, ähnlich wie die Opposition, die sofortige Abberufung von Innenminister Robert Kalinak (Smer) und Polizeipräsident Tibor Gaspar fordern, da diese objektive Ermittlungen im Mordfall Kuciak nicht garantieren könnten. Ein Treffen der drei Koalitionschefs Robert Fico, Andrej Danko (SNS)und Bela Bugar am Donnerstag führte vorerst zu keinem Ergebnis.

Koalition in der Krise und ein "Staat im Staat"

Slowakische Kommentatoren meinten am Donnerstag, die Regierungskoalition von Fico bewege sich auf "dünnem Eis". Wegen der aktuell "sehr bestürzten" Stimmung in der Gesellschaft könnte der "kleinste Fehler" zum Sturz der ganzen Koalition führen, warnte der Politikwissenschaftler Michal Horsky in der Tageszeitung "Pravda".

Hinter dem Tod von Kuciak müsse allerdings nicht unbedingt die italienische Mafia stecken, erklärte der slowakische Publizist und Extremismus-Experte Radovan Branik. Viel wahrscheinlicher hänge der Mord mit der sogenannten Justiz-Mafia in der Ostslowakei zusammen, über die noch nicht berichtet wurde, meinte er. Zu dem Thema hatte er auch Kuciak getroffen, eine weitere Zusammenarbeit habe der Mord aber verhindert.

Es soll sich dabei um Manipulation bei der Zuteilung von Gerichtsfällen an ein slowakisches Gericht mit "Schlüsselbedeutung" handeln, wo ein Teil der Richter "gekauft" sei. Rund herum sei eine regelrechte "Industrie entstanden, die dutzende Gerichtsentscheidungen hervorgebracht hat, dank denen eine enge Gruppe an sagenhaftes Vermögen gekommen ist". Es sei förmlich "ein Staat im Staat" entstanden, so Branik. Auch Polizeipräsident Gaspar hatte am Donnerstag vor Journalisten Informationen über eine "neue Spur" erwähnt, die zum Höchstgericht des Landes führe.

Europaparlament schickt Untersuchungsteam

Das Europaparlament kündigte am Donnerstag in Brüssel an, ein Untersuchungsteam in die Slowakei entsenden zu wollen. Ein entsprechender Beschluss werde vorbereitet, sagte Parlamentspräsident Antonio Tajani.

Der deutsche CSU-Abgeordnete Manfred Weber hatte zuvor als Chef der christdemokratischen EVP-Fraktion einen entsprechenden Antrag gestellt. Begründung: Die Morde könnten auch mit der Veruntreuung von EU-Geldern in Zusammenhang stehen. "Das Europäische Parlament muss die treibende Kraft sein, um Licht ins Dunkel der Vorfälle in der Slowakei zu bringen."

Auch der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger hatte in einem Interview mit der Zeitung "Die Welt" angekündigt: "Wir schauen uns den Fall genau an." Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, David McAllister, zeigte sich gegenüber der Zeitung schockiert, dass mitten in der EU ein Journalist getötet werde, nur weil er seine Arbeit mache.

Der Mord an Kuciak und seiner Verlobten hat die slowakische Öffentlichkeit tief bestürzt. Über 9.000 Menschen wollen zu einem weiteren Trauermarsch für das junge Paar kommen, dass Journalistenkollegen des Investigativreporters für Freitag in Bratislava angekündigt haben. Parallel sollen Veranstaltungen in über 20 weiteren Städten des Landes sowie im Ausland stattfinden. Sollte sich die Teilnahme bestätigen, ginge es um die größten Massenproteste in der Slowakei seit dem Gorilla-Skandal Anfang 2012. An mehreren Protestmärschen gegen Verstrickungen von Politik und Wirtschaftskreisen hatten sich damals rund 15.000 Slowaken beteiligt.

(APA)

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