Gastkommentar

Uni Wien ohne Kreuze: Sind Rektoren sakrosankt?

Die Entfernung der Kruzifixe aus Hörsälen an der Wiener Universität ist erklärbar, aber macht doch sehr nachdenklich.

Was sind das für Zeiten, in denen ein Gespräch über den Kommunikationsstil zwischen Deutschen und Österreichern ein Schweigen über so viel anderes einschließt, möchte ich in Abwandlung einer Brecht-Zeile Dietmar Neuwirth nach seiner Glosse „Kaum zu glauben“ (Kolumne „Glaubensfrage“ in der „Presse am Sonntag“ vom 25. Februar; S. 47) zurufen. Kaum zu glauben, dass man den springenden Punkt einer Debatte so verschieben kann, dass er nahezu unkenntlich wird!

Hörsäle gehen verloren

Gewiss, Neuwirth hat die Hintergründe der Rektoratsentscheidung der Universität Wien präzise ausgelotet. Es wird an der Alma Mater Rudolphina keine Kreuze in den Hörsälen mehr geben – nicht, weil die Universitätsleitung diese abhängt, sondern weil die Theologie ihre angestammten Hörsäle verliert und damit die Möglichkeit entfällt, fortan religiöse Symbole anzubringen.

Allerdings hat der österreichische Journalist mit wachem Auge registriert, dass nur einer „seinen Kopf aus der Deckung“ gesteckt und öffentlich Bedenken angemeldet hat – ein Theologe „mit deutscher Staatsbürgerschaft“. Dieser müsse noch viel lernen, um in Österreich anzukommen.

Der Verfasser dieser Zeilen gesteht gern ein, dass er noch viel zu lernen hat. Er gesteht aber nicht minder seine Verwunderung, dass Neuwirths Glosse die Argumente generös übergeht, die das öffentliche Unbehagen gegenüber der Rektoratsentscheidung motiviert haben. Umso erfreulicher, dass „Die Presse“ dem Wiener Theologen mit deutschem Migrationshintergrund die Gelegenheit gibt, die Argumente, die ausführlicher bereits in einen Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ unter dem Titel „Gegen die weiße Wand“ publiziert wurden, noch einmal vorzustellen.

Klar ist, dass das Christentum in einer religionspluralen und säkularen Gesellschaft keine Privilegien mehr beanspruchen kann. Nicht wenige werden es daher für einen überfälligen Akt halten, die Kruzifixe als Relikte einer problematischen Symbiose von Staat und Kirche zu entfernen. Auch sei nicht bestritten, dass die Akteure an der Universität Wien unterschiedliche religiöse Überzeugungen und weltanschauliche Orientierungen mitbringen.

Ambivalent für Juden, Muslime

Aus dem Dialog mit anderen Religionen weiß die heutige Theologie überdies, dass das Kreuz für Juden und Muslime ein hoch ambivalentes Symbol darstellt. Die Position der Universitätsleitung, gegenüber allen Religionen und Weltanschauungen eine Haltung der Äquidistanz einzunehmen, ist nachvollziehbar.

Dennoch bleibt Unbehagen – zunächst ein historisches. Das Kreuz ist das zentrale Symbol des Christentums, es hat die Kultur und Geschichte Österreichs jahrhundertelang geprägt. In Wien hängen mutmaßlich seit 1384, dem Gründungsdatum der Katholisch-Theologischen Fakultät, Kreuze in den Hörsälen. Diese im Jahre 2018 im Namen einer fächerübergreifenden neuen Raumnutzung zu entfernen, ist ein symbolpolitischer Einschnitt, der inneruniversitär und auch in der Öffentlichkeit kommentarbedürftig ist. Oder sind Rektoratsentscheidungen sakrosankt?

Hinzu kommt ein theologischer Aspekt. Das Kreuz besitzt über seine Kultursymbolik hinaus Provokationspotenzial. Es ist skandalös, das Sterben eines unschuldigen Menschen sichtbar zu machen, von dem Christen öffentlich bekennen, dass er der Christus und Sohn Gottes ist. Das Kreuz bringt ans Licht, was gern in der Grauzone gehalten wird.

Es erinnert an die Verwundbarkeit und Fehlbarkeit menschlichen Lebens, es spiegelt Erlösungsbedürftigkeit und Sterblichkeit. Zugleich ist es ein Hoffnungszeichen für ein Leben, das keinen Tod mehr kennt und von keiner „Auferstehungstechnologie“ (Botho Strauß) produzierbar ist. Gerade heute, wo Imperative von Leistung und Effizienz die Bildungsdebatte bestimmen, wo die Ökonomisierung des Wissens voranschreitet und das bedrohte Humanum zunehmend aus dem Blick gerät, ist das Kreuz ein Mahnzeichen, das die wissenschaftliche Vernunft vor Hybris warnen kann.

Religionslose privilegiert?

Schließlich wirft der Vorgang die religionsrechtliche Frage auf, welches Verständnis von Religionsfreiheit in religionspluralen Gesellschaften in the long run leitend sein soll. Soll Religionsfreiheit unter der Hand als Freiheit von Religion interpretiert werden?

Würde das aber nicht die Religionslosen gegenüber religiösen Akteuren privilegieren, wie der Bochumer Theologe Georg Essen in einer „F.A.Z.“-Replik auf meinen Beitrag zu bedenken gegeben hat? In jedem Fall steht die Frage im Raum, wie das symbolische Vakuum, das durch das Verschwinden der Kreuze entsteht, gefüllt wird. Bleibt die weiße Wand wirklich leer?

Gewiss hätte das kooperative Staat-Kirche-Verhältnis in Österreich auch Spielräume geboten, abweichend von der fächerübergreifenden Hörsaalvergabe in wenigstens einem der Räume das Kreuz zu belassen. Dieser Kompromiss, der an der Universität Innsbruck nach einem Ringen zwischen Rektorat und Theologischer Fakultät erzielt wurde, hätte auch in Wien ein Erinnerungssignal gesetzt, dass die europäischen Universitäten im Mittelalter aus den Kloster- und Kathedralschulen hervorgegangen sind.

So wäre zudem zum Ausdruck gekommen, dass sich der weltanschaulich neutrale Staat Universitäten leistet, in deren Fächerkanon Religionsforschung nicht nur aus der Beobachter-, sondern auch aus der Teilnehmerperspektive betrieben wird.

Wer Augen hat zu sehen . . .

In Summa: Der Abschied von den Kreuzen aus den Hörsälen stimmt mich nachdenklich – nicht, weil ich Deutscher, sondern weil ich Theologe dieser Universität bin. Muss die Achtung vor der Andersheit Andersdenkender und -gläubiger so weit gehen, dass das Eigene der Theologie keinen sichtbaren Ort mehr hat in den Hörsälen?

Wer Augen hat zu sehen, kann an der Ringstraße allerdings eine Entdeckung machen. Das, was in den neuen Räumen im Souterrain verschwindet, ist oben auf der Fassade des Universitätsgebäudes nach wie vor da. Dort thront als Allegorie der Theologie eine Figur mit langstieligem Kreuz. Für die einen ist das nicht mehr als ein historistisches Zitat, das Ferstels Prachtbau ziert.

Andere erinnert die denkmalgeschützte Statue daran, dass die Reflexion über Gott unter dem Dach der Universität von jeher einen Ort hat. Für Theologen aber, ob nun österreichisch oder deutsch, gibt sie den Anstoß, die Frage zu lancieren: Was fehlt, wenn das Kreuz fehlt?

E-Mails an:debatte@diepresse.com

DER AUTOR


Jan-Heiner Tück

(* 1967 in Emmerich, Deutschland) ist seit 2011 Professor am Institut für Systematische Theologie der Universität Wien. Seit Oktober 2012 ist er Vizedekan der Katholisch-Theologischen Fakultät Wien. Er ist Mitglied im Beirat der Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen Dogmatiker und Fundamentaltheologen. [ Clemens Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2018)

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