Italien: Lange Wartezeiten aufgrund neuer Wahlkarten

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Berlusconi wurde bei seiner Stimmenabgabe von einer Femen-Aktivistin attackiert. Die langen Warteschlangen machten den Alt-Politiker besorgt. Trotz der langen Öffnungszeiten, könnte es sein, dass nicht alle wählen könnten, meint der Chef der Mitte-Rechts-Allianz.

Der Chef von Italiens Mitte-Rechts-Allianz Silvio Berlusconi gab in Mailand seine Stimme ab. In seinem Wahllokal kam es zu einem Protest einer Femen-Aktivistin, die barbusig Slogans gegen den Medienzaren skandierte. Sie wurde aus dem Wahllokal gebracht. Nach seiner Stimmabgabe äußerte er Bedenken, dass nicht alle wahlberechtigten Italiener wählen könnten. Aufgrund eines neuen Systems kommt es zu langen Wartezeiten.

In mehreren italienischen Städten, darunter Rom, Mailand und Neapel, haben sich am Sonntagnachmittag bei den Parlamentswahlen lange Schlangen vor den Abstimmungslokalen gebildet. Der römische Gemeinderat riet den Wählern, angesichts der langen Wartezeiten so rasch wie möglich zu den Wahllokalen zu gehen.

Die Schlangen bildeten sich wegen der neuen Wahlzettel, die Betrug erschweren sollen. Erstmals wurde mit Wahlzettel gewählt, auf denen sich ein Abschnitt mit einem Code aus Buchstaben und Ziffern befindet.

Alphanumerischer Code gegen Betrug

Dieser alphanumerische Code wird bei der Ausgabe des Wahlzettels zusammen mit der Ausweisnummer des Wählers registriert. Nachdem der Wahlberechtigte in der Kabine seinen Wahlzettel angekreuzt hat, darf er diesen nicht selbst in die Urne werfen, wie es bei Wahlen in Italien bisher der Fall war. Allein der Verantwortliche des Wahllokals darf den Wahlzettel in die Urne werfen. Die neuen Wahlzettel verlangsamten die Wahlprozedur.

Rund 46,5 Millionen Wahlberechtigte sind dazu aufgerufen, bis 23.00 Uhr ihre Stimme abzugeben. 61.552 Wahllokale sind seit 7.00 Uhr offen. Rechte und populistische Parteien können Meinungsforschern zufolge mit Zugewinnen rechnen, die regierenden Sozialdemokraten müssen sich auf Verluste einstellen. Beobachter halten einen Wahlausgang mit unklaren Mehrheitsverhältnissen und eine schwierige Regierungsbildung für denkbar.

Parlamentswahl könnte Patt bringen

Nach der Parlamentswahl am Sonntag könnte Italien auf eine Pattsituation und eine schwierige Regierungsbildung zusteuern. Umfragen zufolge erreicht kein Block die nötige Mehrheit. Stärkste Kraft dürfte der Mitte-Rechts-Block werden, zu dem sich die Forza Italia von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi, die fremdenfeindliche Lega und weitere weit rechtsstehende Parteien zusammengeschlossen haben. Ob sie auch eine Mehrheit der Mandate erreichen, war unklar.

Der Wahlkampf war geprägt von Unzufriedenheit über die Wirtschaftsentwicklung, hohe Arbeitslosigkeit und Flüchtlingszuwanderung. Davon könnten die extremen Parteien profitieren. So halten es einige Experten für möglich, dass die Lega von Matteo Salvini, die das "Nord" aus ihrem Namen gestrichen hat und im Süden auf Stimmenfang ging, Berlusconis Forza Italia überholt. Salvini will die 600.000 Flüchtlinge zurückschicken, die in den vergangenen vier Jahren in Italien gestrandet sind. Auf den gesamten Mitte-Rechts-Block dürften 35 bis 37 Prozent der Stimmen entfallen.

Stärkste Einzelpartei dürften die Cinque Stelle, die populistische Fünf-Sterne-Bewegung von Luigi Di Maio, mit 27 bis 29 Prozent werden. Sie wird wohl die nötige Mehrheit ebenso verfehlen, wie das Mitte-Links-Bündnis von Ministerpräsident Paolo Gentiloni, für das 27 bis 29 Prozent vorhergesagt wurden. Ob der Sozialdemokrat im Falle eines Wahlsieges wieder die Regierung führt oder sein Parteifreund und Chef des Partito Democratico, Ex-Regierungschef Matteo Renzi, blieb offen.

"Ich denke, dass die Fünf-Sterne gewinnen werden"

"Ich denke, dass die Fünf-Sterne gewinnen werden", sagte Giuseppe Ottaviani, der in Amelia in Mittelitalien wählte. "Aber ich bin auch besorgt, dass es keinen Sieger geben wird. Beide Szenarien wären eine Katastrophe."

Gentiloni hat eine stabile Regierung in Aussicht gestellt und eine große Koalition nichtpopulistischer Parteien ins Spiel gebracht, ähnlich wie in Deutschland. Das wäre ein Bündnis aus Partito Democratico und Forza Italia - wenn es dafür reicht. Berlusconi selbst könnte nicht Ministerpräsident werden, da er nach seiner Verurteilung wegen Steuerhinterziehung bis 2019 kein öffentliches Amt bekleiden darf. Der 81-Jährige hat für den Fall eines Sieges einen langjährigen Weggefährten als Regierungschef vorgeschlagen: den Präsidenten des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani.

(APA/DPA)

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