Geldroboter, die Gewinner im Flash-Crash-Roulette

Auf den automatisierten Finanzmärkten sind extreme Kursschwankungen "allgegenwärtig" − zu Lasten der Wirtschaft.

Hochfrequenzhändler wie „Virtu“ handeln mit ihren Algorithmen an 235 unterschiedlichen Handelsplätzen in 36 Ländern weltweit mit circa 12.000 verschiedenen Finanzinstrumenten. Und das praktisch 24 Stunden täglich, sieben Tage die Woche. Im Bereich von Milli- und Nanosekunden fluten sie die Computerbörsen mit ihren Aufträgen. Auch die Wiener Börse.

Sie sind „die dominante Komponente im Markt und können ihn in fast allen Bereichen in seiner Performance beeinflussen“, so die US-Finanzmarktaufsichtsbehörde SEC.

Und Krisen wie in Griechenland bescheren ihnen Rekordhandelstage, denn sie verursachen große Preisschwankungen, was zu erhöhten An- und Verkaufsentscheidungen führt. Die gestiegene Nachfrage wiederum erhöht die Spreads, also die Differenz zwischen dem Kauf- und Verkaufspreis, jenen Betrag, den Zwischenhändler wie Virtu für ihre angebotene Liquidität einkassieren. Und das erhöhte Handelsvolumen, gepaart mit einem breiteren Spread, treibt dann den Gewinn von Virtu nach oben. Einen Gewinn, den im Nullsummenspiel Finanzmarkt wir Sparer, Pensionsanleger und Versicherungsnehmer bezahlen.

Auslöser und Verstärker

Doch Geldroboter wie Virtu profitieren nicht nur von extremen Preisschwankungen, sondern sie lösen solche oftmals aus, verstärken sie und verbreiten sie blitzschnell über den Globus. Denn durch die beinahe vollständige Automatisierung des Finanzhandels wurden alle Akteure zu einem komplexen Gesamtsystem vernetzt und das Handelsaufkommen und die Geschwindigkeit haben sich extrem erhöht.

Kleinste Signale, ausgelöst etwa durch Nachrichten oder von naiven oder manipulativen Algorithmen, können zu Systemstörungen führen, die in einem komplexen System vielfältige Wirkungsketten zur Folge haben.Bereits der Inhalt eines einzigen Tweets kann die Märkte zum Einsturz bringen. Im April 2013 wurde etwa das Twitter-Konto der US-Nachrichtenagentur Associated Press gehackt und fälschlicherweise wurde die Meldung von zwei Explosionen im Weißen Haus verbreitet.

Dem Twitter-Feed folgten Hochfrequenzhändler, die mit ihren Algorithmen permanent Nachrichten durchforsten, um Preistrends frühzeitig zu antizipieren. Die Stichworte in der Kurznachricht signalisierten den Algorithmen einen bevorstehenden Kurseinbruch und lösten innerhalb kürzester Zeit eine Unmenge an automatisierten Verkaufsorders aus. Ein extremer Preissturz war die Konsequenz davon, ein sogenannter Flash Crash.

Diese Flash-Ereignisse sind heute „allgegenwärtig“, wie es eine Studie der Europäischen Zentralbank konstatiert. Zwischen 2010 und 2015 zählte die EZB alleine bei sechs unterschiedlichen Future-Kontrakten hundert solcher Flash Crashs. In Zeiten, in denen Computersysteme auf einer außergewöhnlich niedrigen Zeitskala arbeiten, finden die fieberartigen Flash-Ereignisse mittlerweile im Millisekunden-Bereich statt. Am Aktienmarkt im Durchschnitt mehr als einmal pro Handelstag, wie es in einer Studie der Universität Miami heißt.

Laut Meinung der Geldroboter-Betreiber entschärfen sie jedoch die extreme Volatilität. Speziell, wenn der Preis gefährlich tief in den Keller rutscht, die Händler versuchen, alle gleichzeitig ihre Produkte zu verkaufen, und damit den Preistrend verstärken. In einer solchen Phase, so ihre Argumentation, würden sie einen Preis stellen und den Marktteilnehmern signalisieren, dass sie zu jeder Zeit kaufen und verkaufen können. Das würde ihrer Meinung nach den Markt wiederum beruhigen.

Die Deutsche Bank bestätigt deren Aussage jedoch nicht. In einer Studie aus dem Jahr 2016 heißt es, dass sich Hochfrequenzhändler „in volatilen Marktphasen häufig zurückziehen und ihr Liquiditätsangebot reduzieren“. Sie sorgen für „ein erhöhtes Risiko“ von „übermäßiger Volatilität, wodurch Marktverwerfungen bis hin zu Flash-Events begünstigt werden könnten“. Für die Studien-Autoren ist klar, dass Hochfrequenzhändler „in Zeiten höherer Nervosität am Markt exzessive Preisbewegungen noch verstärken“.

Unberechenbare Preise

Nun sind Preise ein wichtiger Indikator für den Gesundheitszustand der Finanzmärkte. In Zeiten von algorithmischen Handelsentscheidungen, in denen sich Preise innerhalb von Millisekunden bilden, werden sie jedoch zu einer Erwartung degradiert, ohne Bezug zu realen Werten. Ausgelöst von Nachrichten wird automatisiert vorhergesagt, in welche Richtung sich der Preis bewegen wird. Je heftiger die Nachricht, desto aggressiver werden die Positionen der Händler angepasst.

Wenn jedoch Preise, etwa einer Aktie, nicht auf den Fundamentaldaten beruhen, nicht mehr in Verbindung stehen mit den wirtschaftlichen Kennzahlen eines Unternehmens, sondern lediglich eine Richtungserwartung darstellen, dann verursacht dieser Umstand negative Effekte für die Realwirtschaft. Etwa weil der Preis Produktionsfaktoren wie Arbeit, Boden oder eben Kapital nicht mehr dorthin lenkt, wo sie am dringendsten gebraucht werden.

Produktion von Unsicherheit

Eine weitere negative Konsequenz ist die Produktion von Unsicherheit. „Jeder Trade ist eine Reise ins Ungewisse und jedes wirtschaftliche Handeln ist zukunftsorientiert“, so der österreichische Ökonom Stephan Schulmeister. Daher benötigt „jede wirtschaftliche Tätigkeit, auch wenn der Zeithorizont nur fünf Minuten ist, Erwartungen.

Die „Geschwindigkeit des Trading ist jedoch so enorm, das Gesamtsystem derart unsicher, dass kein Mensch mehr Zeit hat, eine ,wahre‘ Preiserwartung zu bilden, also den ,Fundamentalwert‘ abzuschätzen“, so Schulmeister.

Doch wenn sich für die Realwirtschaft keine nachvollziehbaren Erwartungen mehr bilden lassen, dann werden Unternehmen nicht mehr in wirtschaftliche Aktivitäten investieren, die eine lange Planungszeit voraussetzen, wie etwa die Maßnahmen gegen den Klimawandel. Das wiederum verursacht langfristig einen enormen Schaden für die gesamte Gesellschaft.

Und wenn sich trotz Automatisierung die Handelskosten der institutionellen Investoren, also etwa von Versicherungen, die mit den Kundengeldern der Otto Normalverbraucher Finanzprodukte kaufen, über die Jahre „erhöht“ haben, wie es eine Studie der New Yorker Fordham Universität analysierte, dann scheint es, dass sich die vielfältigen Möglichkeiten der Automatisierung lediglich als Vorteil für die Geldroboter erweisen, außerhalb des gesamtwirtschaftlichen Geschehens. Ein verheerendes Zeugnis für Hochfrequenzhändler wie Virtu Financial.
Zu dem Thema hat Ehrenhauser soeben ein Buch veröffentlicht: „Die Geldroboter“, Promedia-Verlag.

DER AUTOR

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Martin Ehrenhauser,
(*1978 in Linz) studierte nach seiner abgeschlossenen Kochlehre Betriebswirtschaft und Politikwissenschaften in Österreich und England. Zwischen 2009 und 2014 war er Abgeordneter des Europaparlaments. Seither ist er Unternehmer und arbeitet als Autor. Ehrenhauser lebt in Brüssel und Linz, ist verheiratet und hat drei Töchter. [ Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2018)

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