Leitartikel

Die „italienische Revolution“ wird am Realitätscheck scheitern

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Die „Grillini“ müssen sich die Hände schmutzig machen, um zu regieren. Offen ist, ob sie sich das antun. Sicher ist: Italien kehrt zurück in die EU-Peripherie.

Die Italiener haben am Sonntag ihren bisherigen Regenten eine klare Botschaft übermittelt. Jeder Zweite erteilte der Zweiten Republik eine schallende Ohrfeige. Rund die Hälfte stimmte bei dem Parlamentsvotum für die ausländerfeindliche Lega oder die radikale Fünf-Sterne-Bewegung. Für Parteien also, die sich die totale Umwälzung des Systems auf die Fahne geschrieben haben.

Der italienische Anti-Establishment-Aufstand an den Urnen folgt einem Europa-Trend. Die von Brüssel und Rom miserabel gemanagte Migrationskrise im Mittelmeer, Überfremdungsängste, Wirtschaftskrise und sozialer Abstieg spielten der Lega in die Hände. Ihre rassistischen Kampagnen und Anti-Globalisierungs-Parolen waren – vor allem im reicheren Norden – erfolgreicherer als die traditionelle Schimpftirade gegen das „korrupte Rom“.

Dieses Wahlergebnis ist aber vor allem eine spezifisch italienische Revolution. Und sie fand verstärkt im verarmten Süden statt. Hier siegte die Fünf-Sterne-Bewegung haushoch – und nicht nur mit Antimigrationsparolen. Hauptmotivation für das Votum ist das lautstarke „Leck mich“ („Vaffanculo“), der „Kampfschrei“, der vor zehn Jahren die „Grillini“ groß gemacht hat. Hauptbotschaft ist ein riesiger, symbolischer Stinkefinger gegen die verhasste „Parteienkaste“.

Heute hat sich die Fünf-Sterne-Bewegung mit ihrem adretten Jung-Chef, Luigi Di Maio, zwar ein biederes, nahezu konziliantes Gesicht verpasst. Aber der symbolische Stinkefinger bleibt. In einem Land, in dem nur fünf Prozent der Wähler Vertrauen in die Parteien haben, ist der Hauptwahlantrieb Wut, Resignation: Die „Grillini“ wählte der junge Akademiker mit dem 800-Euro-pro-Monat-Zeitvertrag. Oder der Student ohne Jobaussicht. Für die Fünf Sterne stimmten verarmte Pensionisten, 50-jährige Arbeitslose oder Eltern, die sich weder Kinderbetreuung noch Urlaub leisten können, obwohl beide Vollzeit arbeiten. Und viele Italiener sind darunter, die das „korrupte Parteiensystem“ abschaffen wollen – in Umfragen jeder Zweite.

Mancher ließ sich aber auch von der „schönen neuen Fünf-Sterne-Welt“ locken: Der arbeitslose Wähler hofft irgendwie doch auf das versprochene Grundeinkommen, der Umweltaktivist auf die geplante radikale Wende Richtung erneuerbarer Energien, der Internet-Freak auf eine direkte Online-Demokratie.

Vermutlich glaubt nur ein Bruchteil an die Realisierung der Fünf-Sterne-Utopie. Aber man gibt lieber dieser jungen Protestbewegung seine Stimme als den ewig gleichen, verbrauchten Altpolitikern – für das Wahlvolk eine abgehobene Spezies, die vor allem mit sich selbst beschäftigt ist. Kurz: Fünf Sterne ist das erfolgreichste europäische Modell eines Sammelbeckens für alle Enttäuschten – jenseits von links und rechts.

Doch „Leck mich“ ist noch kein Regierungsprogramm. Und somit steht Luigi Di Maio der wahre Härtetest noch bevor: die Begegnung mit der Realität. Will der Saubermacher wirklich regieren, muss er sich jetzt die Hände schmutzig machen. Der 31-Jährige wird gezwungen sein, mit der verhassten Kaste zu feilschen, paktieren, Kompromisse zu schließen und Zugeständnisse zu machen. Er wird eingestehen müssen, dass viele seiner schönen Zukunftspläne einfach nur Seifenblasenträume sind. An der Macht kann es daher nur einen „entzauberten Grillino“ geben. Fraglich ist, ob die Basis da mitmacht – und ob sich die Bewegung diesen Realitätscheck wirklich antun wird.

Ähnlich wird es übrigens der Lega ergehen, sollte sie eine Mitte-rechts-Koalition anführen wollen. Zampano Silvio Berlusconi wird sich eine Mitarbeit teuer bezahlen lassen: Der 81-Jährige wird sich nicht so leicht dem verhassten Jungspund Matteo Salvini unterwerfen.

Vielleicht wird die italienische Regierung letztendlich doch ganz anders aussehen als dieses Wahlergebnis. Wahrscheinlich ist zu diesem Zeitpunkt: Die Verhandlungen zur Regierungsbildung werden langwierig, laut und mühsam. Sicher ist: Innerhalb Europas rückt das frustrierte, chaotische Italien mit seiner undurchsichtigen Politik und seinen hohen Geldschulden auf seinen alten Platz zurück: an die EU-Peripherie, auf den Posten des ewigen Sorgenkinds.

susanna.bastaroli@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2018)

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