Déjà-vu

Was ist konservativ, und wer ist konservativ?

Fünfzig Jahre nach 1968. Über die Auferstehung eines politischen Begriffs – und hoffentlich auch der damit gemeinten Haltungen.

Konservativ galt unter vermeintlich fortschrittlichen Zeitgenossen lange Zeit als Vorwurf von veraltet und gänzlich unzeitgemäß. Der Konservativismus als politische Strömung war überhaupt völlig in der Versenkung verschwunden. Das hat sich in der jüngsten Zeit geändert.

Bevor noch Sebastian Kurz für seine „neue ÖVP“ überhaupt in Anspruch nahm, konservativ zu sein, wurde es ihm von Kritikern schon zugeschrieben. Er habe eine „konservative Revolution von rechts“ im Sinn, hieß es. Der Vorwurf ist eine bewusste Anspielung: Konservative Revolution wird als Sammelbegriff für das antidemokratische Schrifttum in der Weimarer Republik verwendet.

„Heimatlos“ lautet der Titel eines Buches des angesehenen Autors der Hamburger „Zeit“ Ulrich Greiner, in dem er sich als heimatlosen Konservativen zu erkennen gibt. Daran ist erstaunlich, dass er sich dazu erst im Alter und in den letzten Jahren entwickelt hat, wie er bekennt. Er hat aber nach eigenem Bekunden nie die CDU gewählt, und die CSU könne er, da er kein Bayer sei, nicht wählen.

Es fehlt nur das Wörtchen: leider, man versteht es aber auch so: Die CSU vertritt klarer konservative Positionen als die CDU. Greiner nennt auch den Grund für seine Heimatlosigkeit. In den „Leitmedien“ von den öffentlich-rechtlichen Anstalten bis zu den tonangebenden Zeitungen herrsche ein „Anpassungsmoralismus, der gegensätzlichen Meinungen keinen Resonanzboden bietet“.

Den eigentlichen Anstoß für die neue Konservativismus-Debatte gab aber Alexander Dobrindt, der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag. In einem programmatischen Papier fordert er eine „bürgerliche Wende“ für Deutschland. Dobrindt verwendet die Begriffe konservativ und bürgerlich synonym. 50 Jahre nach 1968 müsse „endlich klar“ sein, dass Deutschland „nie links war, sondern immer bürgerlich“. Obwohl das so sei, herrsche eine „linke Meinungsvorherrschaft“, die die bürgerliche Mehrheit als Schauspiel ertragen müsse.

Dobrindt erntete dafür viel Spott und beckmesserische Kritik aus dem Feuilleton. Es sei doch das Bürgertum, das die Konsumenten für die vermeintlich linken Meinungen in Kultur, Kunst, Medien und Politik stelle, wurde ihm entgegengehalten. Die von Dobrindt beschworene Wertegemeinschaft des Abendlands sei es doch, die den Künsten zu ihrem Rang in Europa verholfen habe. Mit diesem dialektischen Kunstgriff aber weicht man den inhaltlichen Fragen aus, die Dobrindt stellt. Mit Ausnahme der bayerischen CSU scheuen es die christlich-demokratischen Parteien, den Begriff konservativ auf sich anzuwenden. Der letzte ÖVP-Obmann, den man als solchen bezeichnen konnte und der es sich auch gefallen ließ, war Michael Spindelegger. Jener Spindelegger, dem seine Partei Kurz als Staatssekretär und später als Außenminister verdankt.

Zukunftsthema Integration

Das beweist nebenbei, dass Konservative durchaus veränderungsbereit sind und eine Ahnung für das Kommende haben. Im Fall Spindelegger/Kurz war das die Erkenntnis, dass die Integration – wenn sie denn überhaupt gelingen wird – so doch jedenfalls ein großes Zukunftsthema ist.

Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, lehnt den Begriff für die CDU ab und beruft sich dabei auf Konrad Adenauer: „Unser Markenkern ist nicht das Konservative.“ Das hat auch mit der traditionell linkskatholischen Prägung der rheinischen CDU zu tun. Laschet gibt aber zu, dass das Konservative „eine der Wurzeln“ der CDU ist. Es mit neuen, aktuellen Bezügen zu versehen, um seinen Wertekern freizulegen, kommt ihm aber nicht in den Sinn.

Laschet nennt stattdessen als „Markenkern“ das „christliche Menschenbild“. Was damit gemeint sein könnte, ist noch unbestimmter als das Konservative, und es wird – jedenfalls in Deutschland – auch von anderen politischen Kräften in Anspruch genommen. In Österreich muss die ÖVP zwar keine Konkurrenz um das Christliche in der Politik befürchten, sie weiß aber damit ebenfalls nichts anzufangen.

Der neue Generalsekretär, dem „der Glaube viel gibt“ hält beispielsweise die Religion für Privatsache. Wenn er damit das Recht meint, Religion zu haben oder nicht zu haben ohne für das eine oder andere einen Nachteil befürchten zu müssen, ist das richtig und selbstverständlich.

Das Bewährte schützen

„Religion ist Privatsache“ ist aber eine politische Parole aus dem Denkfundus der Neos alias Liberales Forum. Für die ÖVP wäre das jedenfalls neu. Es ist kein Generalsekretär oder Obmann in Erinnerung, der jemals eine solche Meinung vertreten hätte.

Es fragt sich, wie eine Partei, die Religion für Privatsache hält, für den konfessionsgebundenen Religionsunterricht oder das Kreuz in Klassenzimmern argumentieren kann – ganz zu schweigen von der sogenannten Homo-Ehe oder bioethischen Fragen. Aber das ist für Karl Nehammer ohnehin schon entschieden: „Die obersten Gerichte haben hier den Weg vorgegeben. Urteile sind zur Kenntnis zu nehmen.“ Das christliche Menschenbild, das in dieser Sache auf eminente Weise zur Frage steht, bemüht er erst gar nicht.

Kritiker wie Apologeten des Konservativismus definieren ihn zunächst rein formal: Der Konservative will das Bewährte gegen einen zweifelhaften Fortschritt schützen, was nicht schlecht sein muss. In diesem Sinn kann man die „strukturkonservative“ Sozialdemokratie den „wertkonservativen“ bürgerlichen Parteien gegenüberstellen. Bis in die Rhetorik bürgerlicher Politiker hat ein Zitat des englischen Lord Salisbury gefunden, nach dem der Konservative „die Veränderungen so lange zu verzögern sucht, bis sie harmlos geworden sind“.

Was lässt sich aber jenseits dieser formalen Definitionen, die letztlich das Konservative als Zynismus entlarven würden, als inhaltlicher Kern herausschälen und damit seine Gültigkeit für heutige Gesellschafts- und Politikgestaltung erweisen?

Der Staat muss Grenzen haben

Das Wort vom „christlichen Abendland“ ist zwar dadurch diskreditiert, dass es von den Rechtsparteien usurpiert wurde. Trotzdem darf das Christentum die akzeptierte Grundlage für eine Leitkultur sein. Konservativ ist es jedenfalls, Respekt vor dem in der Vergangenheit Geschaffenen und nicht nur prinzipiell das Bessere in einer utopischen Zukunft zu erwarten.

Zentral für konservatives Denken ist das Verhältnis von Freiheit und Ordnung. Der Einzelne darf vom Staat Sicherheit, Ordnung und die Durchsetzung des Rechts erwarten, dieser darf aber nicht zum alles kontrollierenden und den Menschen total bevormundenden Fürsorgestaat werden. Dazu gehören dann auch Wettbewerb und Leistungsbereitschaft in einer sozialen Marktwirtschaft, was die Akzeptanz von Ungleichheit einschließt.

Letztendlich weiß der Konservative, dass der Staat seine Versprechen nur erfüllen kann, wenn er Grenzen hat. Er will Europa, aber nicht um den Preis der Nationalstaaten.

DER AUTOR

Hans Winkler war langjähriger Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“.

Debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2018)


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